ePub: Drachenhaut (German Edition)
Gerätschaften einen gespenstischen Schimmer aussandte. Gesichter und Hände schwammen wie Fische durch die Dunkelheit, hier und da glänzte ein heller Kaftan, ein weißes Gewand oder ein Turban. Murmelnde Stimmen, leise Schritte, der scharfe Geruch von Räucherwerk und glosenden Kräutern, leise plätscherndes Wasser. Unter ihren Sandalen glatte, kalte Fliesen, über ihrem Kopf ein von Säulen getragenes Dach, durch das kein Licht drang. Dieses Labyrinth war eine Welt für sich, die völlig abgeschieden zu sein schien von der Sonne, der Hitze und dem Gewimmel vor dem Eingang.
Lilya schob den Schleier aus ihrem Gesicht, um besser sehen zu können. Sie hatte vor einem Jahr einmal ihren Großvater hierher begleiten dürfen, und er hatte ihr vorher davon erzählt, was sie dort erwarten würde. Das war das Quartier der Magier. Hier konnte man all die Zutaten für magische Tränke und Zaubersalben kaufen, die in den Büchern verzeichnet waren: Krötenaugen und getrocknete Mäusebeine, Schlangenzungen und das Gift der Vogelspinne, eingelegte und geräucherte Insekten, die Leber des geheimnisvollen Karafischs. Kräuter aus dem fernen Okzident konnte man hier ebenso erwerben wie seltene Steine und Kristalle, die Magie speichern konnten, Heiltränke und Ingredienzen für Bannsprüche, Tonflaschen, die mit einem magischen Siegel versehen als Gefängnis für kleine Dämonen und Geister dienen konnten, Talismane und Amulette, Zauberkreiden und alchemistische Pulver, große Gerätschaften wie fliegende Teppiche und Zaubergeschirr, mit dem man ein Flügelpferd reiten konnte. Natürlich gab es auch Kristallkugeln und Wahrsagekarten, Zauberstäbe und allerlei alchemistische Gefäße, Brenner und Tinkturen, Rührgeräte und Mörser und außerdem Bücher und Schriftrollen über Zauber, Magie und Sterndeutung.
Lilya tastete sich vorwärts. Sie erinnerte sich an das Gewölbe, in dem ihr Großvater die meiste Zeit verbracht hatte, und dort wollte sie sich nach einem Geschenk umsehen.
»Psst«, machte eine Stimme, als sie an einem der kleinen Gewölbe, kaum größer als ein Verschlag, vorbeistreifte und dabei ein Kräuterbündel zu Boden riss. »Psst, junge Banu. Was immer du suchst, ich habe es.«
Sie blieb fast gegen ihren Willen stehen und strengte die Augen an, um in der Düsternis etwas zu erkennen. Ein Hemd schimmerte bleich, bewegte sich, aber niemand schien darin zu stecken. Dann kam das Hemd näher, und Lilya erkannte, dass der Mensch darin so dunkelhäutig war wie sie selbst. Nein, sogar noch dunkler, so dunkel wie Ajja. Ein Wüstenmann.
Dann stand der Mensch vor ihr und griff nach ihrer Hand, zog Lilya dicht an sein Gesicht. Sie sah die Augen und das geflochtene, graue Haar, die runzlige Haut, die über und über mit feinen, hellbraunen und roten Tätowierungen bedeckt war, die klimpernden Ohrgehänge, die Ringe an den faltigen Fingern. Es war eine Frau, kein Mann. Eine alte Wüstenfrau. Sie hatte noch nie eine alte Wüstenfrau gesehen, die keine Sklavin war.
»Nein«, sagte sie und versuchte, ihre Hand aus dem festen Griff der dunklen Finger zu lösen. »Ich bin nicht auf der Suche nach etwas Bestimmtem. Lass mich los.«
Der Klammergriff wurde sogar noch fester. »Du wirst es nicht finden, wenn du nicht zuerst bei mir schaust«, sagte die alte Frau. Ihre Augen hatten eine erstaunlich helle Farbe und ihr Blick musterte Lilya scharf und ausdruckslos aus den Schnörkeln und Kringeln der Tätowierung heraus. »Komm herein, sieh dich um, Drachenkind.«
Ein unerklärliches Gefühl der Beklemmung und Angst verlieh Lilya Kraft. Sie wich zurück und riss sich los. »Was soll das!«, fauchte sie und wandte den Kopf, um Teto zu ihrem Beistand zu rufen. Aber ihr Beschützer war nirgends zu sehen.
Die Händlerin machte eine besänftigende Handbewegung. »Ich halte dich nicht«, sagte sie. »Aber sei klug, kleine Schwester. Komm zu mir, wenn du Rat benötigst.« Sie hob blitzschnell die Hand und berührte Lilyas Schläfe, ehe diese den Kopf abwenden konnte. Lilya stand wie gelähmt. Feuerfunken tanzten vor ihrem Auge und ein Schmerz wie von tausend glühenden Nadelstichen prickelte auf der Haut ihrer bösen Seite. Sie blinzelte heftig und hob die Hand, um nach der Frau zu schlagen, aber als sie wieder sehen konnte, war das Gewölbe leer und die Wüstenfrau verschwunden.
Lilya rieb sich heftig über die Schläfe, um das Gefühl der Berührung zu vertreiben. Was hatte die alte Frau mit ihr angestellt? Sie machte ein paar schnelle
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