Equilibrium
jetzt.«
»Gewöhnt euch dran«, sagte ich und wechselte schnell das Thema. »Habt ihr Justin gesehen?«
»Nein«, antwortete Nick und sah die anderen der Reihe nach an. »Gestern war er nicht beim Training.«
»Ja, er kriegt Ärger. Du hast dem Coach wenigstens eine SMS geschickt«, sagte Christian.
»War er denn bei der Party am Samstag?«
»Nein, da war er auch nicht. Warum fragst du überhaupt nach ihm? Wo warst du denn? Bist du doch zu dem Eishockey-Camp für Mädchen gefahren, wo du geschworen hast, nicht hinzugehen? Kommt daher der neue Look?«, fragte Brandon und sah mich neugierig an.
»Nein.« Bevor er mich weiter löchern konnte, schob ich mich an ihnen vorbei, um zum Klassenzimmer zu gehen. »Bis später, Jungs.« Ich konnte spüren, wie sie hinter mir her starrten, als ich den Flur entlangging, darum stoppte ich für eine Sekunde und warf extra für sie meine Haare zurück.
Als ich im Englischkurs saß, fiel mir auf, wie anders die Leute hier auf mich reagierten, im Gegensatz zu meinem alternativen Darley-Leben. Bei meinem kurzen Stunt als eine Darley hatte ich eine gewisse Vertrautheit mit meinen Mitschülern erlebt, an die ich mich irgendwie gewöhnt hatte. Der viele Körperkontakt im Darley-Land war mir am Anfang unangenehm, und als ich mich umsah, verstand ich leicht warum. Ich kannte alle in meinem Kurs ziemlich gut, kannte die meisten davon schon seit Jahren, trotzdem wirkten sie fremd. Sie waren alle normal und nett zueinander, aber nicht zu mir. Das kam daher, dass ich jahrelang niemanden an mich herangelassen hatte. Ich hatte keine Ahnung warum. Ich hatte mich selbst in eine Lage gebracht, in der sich die meisten Mitschüler vor mir fürchteten , obwohl sie mich alle mit Respekt und freundlich genug behandelten. Ich bemerkte, wie sie in meine Richtung blickten, aber nicht zu lange hinsahen. Es gab ab und zu freundliches Winken, Lächeln und sogar einige fragende Blicke wegen meiner neuen Frisur. Irgendwelche Umarmungen oder Berührungen würde es nicht geben, nicht mal von meinen besten Freunden. Gab es nie.
Ich war mit ungefähr acht Jahren aus England nach New Jersey gezogen. Mein Leben in England war total anders als das Leben, das ich plötzlich in Princeton erlebte. Zu den normalen Unterschieden zwischen dieser und der anderen Seite des Atlantiks kam noch, dass ich jetzt tagsüber in eine normale Schule statt in ein reines Mädcheninternat ging. Plötzlich musste ich mich abends mit meinen Eltern herumärgern, statt meine Abende mit Freunden zu verbringen. Meine Eltern waren in kleineren Portionen viel besser zu ertragen. Als wir noch in England gelebt hatten, war ich immer an den Wochenenden nach Hause gefahren. Samstags hatte ich etwas mit meinem Dad unternommen, während meine Mom, oder Mum , wie ich sie damals noch nannte, gearbeitet hatte. Sonntags hatten sie getauscht. Das hatte richtig gut geklappt. Beide Tage waren voller Unternehmungen. Ich hatte Karate, Junior Dressur, Fußball, Tennis und Schwimmstunden, um mich zu unterhalten. Nie eine Minute Langeweile. Die Zeit im Internat war lustig, tagsüber hatten wir Schule und der Abend war für Stillarbeit, das hieß Hausaufgaben, und anschließend Freizeit mit den Mädels und dann Licht aus um neun. Die Routine gefiel mir.
Als wir nach New Jersey zogen, änderte sich alles. Plötzlich hatte ich meine Eltern jeden Abend am Hals. Das war nicht ideal. Eher genau das Gegenteil. Ich erkannte schnell ihre schweren Charakterschwächen und durchschaute diesen Witz einer Ehe. Sie konnten sich eindeutig nicht ausstehen. Das konnte ich sogar schon mit acht Jahren erkennen.
Ich hängte mich schnell an meinen Dad. Schließlich war er entspannt, trotz seiner Spiel- und Alkoholprobleme, und man konnte leicht mit ihm auskommen. Mom und ich hatten uns ständig wegen allem und nichts in den Haaren. Ich fing an, sie zu hassen. Als ich zwölf war, hatte ich mir angewöhnt, meinem Frust und Ärger körperlich Luft zu machen. Das führte zu zerbrochenen Fensterscheiben und Löchern in den Wänden. Am Ende wurde ich zum Psychiater geschickt und hatte einen kurzen Aufenthalt in einer Station für Verhaltensauffällige. Das war schrecklich. Egal, ich lernte meine Wut und meine Gefühle zu kontrollieren. Ich wurde abweisend, distanziert und unnahbar. Der Hass auf meine Mutter wurde noch stärker, schließlich war es ihre Schuld. Sie hatte mich zum Psychiater geschickt. Ich hatte mich immer weiter von ihr, meinem Dad und meinen Freunden entfernt und
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