Er war ein Mann Gottes
mich komisch. Schwindlig irgendwie. Besser, ich blieb sitzen.
Eine Hand kroch meinen Rücken hinauf. »Jetzt komm schon.«
»Mhm.« Ich bewegte die Schultern. »Lass das!« Ich wollte das nicht.
»Okay.« Mit einem Ruck setzte er sich auf und begann gleich darauf mit dieser besonderen, müde machenden Stimme zu sprechen, wie ich sie aus dem Beichtgespräch kannte.
Ich lauschte mit Andacht. Er sprach so gewählt und mit so schöner Stimme. Es war wie eine Predigt, nur für mich allein. Aber so ganz funktionierte es nicht. Worte flutschten an mir vorbei, andere blieben haften. »Einsames Menschenkind«, verstand ich. »Nicht Gottes Wille. Jeder braucht Freunde.«
Als eine große schwarze Ameise neben mir über die Strickweste krabbelte, kam es mir vor, als würde Frederic wie Franz von Assisi auch zu den Tieren des Waldes sprechen.
Obwohl ich so betrunken war, dass die Ameise bald zweigeteilt war, bald unscharf vor meinen Augen verschwamm, verfolgte ich wie gebannt ihre Klimmzüge an Frederics herunterbaumelndem Schuhbändel. Zielstrebig eilte sie dem Streifen männerbehaarter Wade entgegen, der zwischen Socke und Hosensaum sichtbar war. Haarstoppel rauf, Haarstoppel runter ging es unaufhaltsam hinein ins Hosenbein. Ein Kichern quoll in mir auf. Wenn Frederic nicht aufpasste, würde sie ihn mit ihrem Ameisengift anpinkeln. Garantiert würde er dann aufspringen und wie verrückt herumhüpfen. Wie das aussehen würde! Ich konnte nicht mehr. Ich musste einfach losprusten.
»Manchmal bist du wirklich noch ein Kleinkind, Cora.« Frederic schüttelte den Kopf. Mit zwei Fingern nahm er die Ameise und tat, als wolle er sie auf meinem Scheitel absetzen. Als ich abwehrend aufzuspringen versuchte, ließ er sie fallen, griff stattdessen nach mir und hielt mich fest.
Ich erstarrte so jäh, dass er mich losließ und beide Hände ausstreckte, um seine Unschuld anzudeuten. »Ich tu dir doch nichts!«
Trotz meines beduselten Zustands raste mein Herz plötzlich.
»Als ob du vor mir Angst haben müsstest!« Frederics Stimme klang hart.
Ich brach in Tränen aus.
»Weißt du eigentlich, warum ich heute mit dir hierhergefahren bin?« Frederic räusperte sich nach einer Weile und stützte sich mit den Armen hinterrücks ins Gras.
Mit beiden Händen schmierte ich die Tränen aus den Augen und blickte verneinend zu ihm hinüber.
»Erinnerst du dich noch, was ich dich in Assisi gefragt habe?«
Trotz der Trunkenheit löste diese Frage einen Alarm in mir aus. Mir wurde mulmig zumute. Kam er etwa schon wieder mit diesen furchtbaren Fragen?
Als habe Frederic gespürt, was in mir vorging, setzte er sich wieder auf und lächelte mich beruhigend an. »Keine Angst, ich quetsch dich nicht schon wieder aus.«
Ich antwortete nicht. Er schien auch nicht damit gerechnet zu haben. »Wahrscheinlich weißt du nicht, was du sagen sollst. Oder?«
Es brauste in meinem Kopf.
»Dann erklär ich dir jetzt, was ich hören will.«
Ich versuchte, Frederic zu verstehen. »Okay.« Es hörte sich an, als käme meine Stimme mitten aus dem Nebel.
»Ja, ja, pass nur auf.« Frederic rückte näher an mich heran und legte langsam den Arm um mich. Das war schön. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Er war so schwer. Es tat gut, ihn anzulehnen. »Siehst du, es geht doch.« Mir war schon wieder, als träumte ich.
»Es ist doch ganz einfach«, sagte Frederic in meinem seltsamen Traum. »Also: Auf die Frage, was ich für dich bin, musst du sagen, dass ich dir als dein bester Freund erscheine. Auf meine Frage, was du von mir willst, heißt es, dass ich dein bester Freund sein soll. Auf die Frage, was du von mir erwartest, lautet die richtige Antwort, dass du mir stets vertrauen und jederzeit alles sagen können willst.«
Er wartete einen Moment. »Das ist es doch, oder? Das willst du doch, ja?«
Ich konnte irgendwie nicht antworten. Die Zunge wollte nicht. »Wie beim Zahnarzt«, hätte ich gern gesagt. Aber die Worte hingen fest.
Nur mein Schluckauf gluckste und ich wurde das Gefühl nicht los, als würde jemand in mir von außen zuschauen und wie mit einer Kamera alles, was gesagt und getan wurde, aufzeichnen und in mir abspeichern. In gewisser Weise war es wohl auch so, denn die Bilder und Worte dieses Abends sind in meinem Gedächtnis eingebrannt, obwohl ich noch am nächsten Morgen nicht ganz nüchtern war.
Frederic fuhr mit einem komischen Seufzer fort: »Keine Antwort ist auch eine Antwort, Cora. Aber meinetwegen. Ich mach es dir leicht. Ich
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