Er war ein Mann Gottes
sag dir: Da alles das, was du von mir willst, meine wahre Aufgabe ist, die ich von Gott erhalten habe, verspreche ich dir: Ja, ich bin dein Freund. Ja, du kannst mir vertrauen und mir alles sagen. Ja, ich bin für dich da. Jederzeit. Immer. Aber das ist unser heiliges Geheimnis. Wenn du es jemandem verrätst, wird es zerstört. Verstehst du das?«
Ich gab keine Antwort. In meiner Haut saßen tausend Augen und Ohren, tausend Nadeln und Fühler. Meine Haut bemerkte etwas. Sie spürte etwas. Sie fühlte, wie Frederics Arm, der um meine Schultern lag, sich langsam, langsam immer weiter nach vorn schob, bis seine Hand, wie damals in Assisi, wieder über meinen Busen tastete und ich seinen immer etwas modrigen, mottenkugelähnlichen Körpergeruch einatmen musste.
Von innen heraus begann ich schrecklich zu zittern. Alles an mir bebte wie im Schüttelfrost. Meine Knie schlotterten, meine Hände. Das Herz schlug mir rasend bis im Hals. Selbst die Zähne klapperten aufeinander.
Ich war ein Kind und wusste nichts von körperlicher Liebe, als was man in Filmen sieht und in meinem Alter in der Schule lernt oder in der Clique erfährt. Dennoch stieg die Furcht in mir auf: »Jetzt passiert es. Jetzt ist es so weit. Und ich kann nichts dagegen machen.«
Die Angst war noch schlimmer als in Assisi. Obwohl ich betrunken war und zu träumen glaubte, wusste ich, dass wir allein, mitten im Wald waren. Keiner war da, mich zu beschützen. Mein Schreien würde niemand hören. Nicht einmal weglaufen konnte ich. Frederic war viel größer und stärker als ich. Er würde mich sofort einholen oder finden.
»Was ist?« Frederic flüsterte, während er mich hielt und drückte und auf seinen Schoß zu ziehen versuchte und auch seine zweite Hand ihren Weg zu mir nahm und unter mein Oberteil glitt.
»Kalt«, stieß ich hervor und zuckte unter seinen Fingern zusammen, die sich in meinen Büstenhalter schoben und meine nackte Brust berührten, an der mich noch kein Mann angefasst hatte. »Bitte, mir ist kalt.«
Kalt! Im Hochsommer! Etwas Dümmeres war mir nicht eingefallen. Ganz plötzlich war ich hellwach. Ich hatte Angst. Deshalb fror ich.
»Nicht!«, sagte ich. »Bitte, nicht.«
Oder wollte ich das nur sagen? Träumte ich doch? Ich wollte, dass es ein Traum wäre. Nur ein Traum, ein blöder Traum.
Frederic reagierte nicht. Er streichelte mich weiter. Er hielt mich im Arm.
Ich konnte ihm nicht sagen, dass ich Angst hatte. Wovor denn? Was sollte ich sagen? Er tat mir ja nicht weh. Oder doch? Was er da machte, tat nicht wirklich weh. Nicht, wie Schläge wehtun. Oder tat es doch weh? Kann man sagen, dass Angst wehtut?
»Wir sind doch Freunde«, hörte ich ihn sagen. »Ich tu dir doch nichts. Ich streichle dich doch nur.«
»Streicheln ist nichts Böses«, dachte es in meinem Kopf, aber die Haut wusste, dass dieses Streicheln anders war, als wenn mein Vater mich streichelte oder meine Mutter mich in die Arme nahm. Ich wollte dieses komische Streicheln nicht. Trotzdem durfte ich es nicht aussprechen.
»Ein Priester ist ein Mann Gottes. Er ist geweiht. Er vernimmt Gottes Wort. Er ist etwas Besonderes«, hörte ich meinen Vater sagen. »Wer etwas Böses über einen Priester sagt, kommt in die Hölle.«
Es war wie mit Frederics blöden Fragen, auf die ich nicht antworten durfte, weil ein Kind einem Mann Gottes nun mal nicht die Freundschaft anbieten und ihn nicht wie einen netten Jungen lustig drauflosfragen kann: »Willst du mit mir gehen?«
Sobald ich den Mund aufmachen und verraten würde, warum ich so furchtbare Angst vor ihm hatte, würde Frederic mich auslachen oder wütend schelten.
»Was bildest du dir eigentlich ein?«, würde er mich vielleicht anbrüllen. Womöglich würde er mich sogar schlagen. Wir waren allein im Wald. Keiner würde es sehen. »Alles Böse ist nur in deiner Phantasie«, würde er sagen. »Dein Vater hat recht. Du bist ja tatsächlich irgendwie verkehrt und nicht ganz richtig.«
Ich versuchte, nicht wieder loszuheulen.
Ich wusste, dass es nicht meine Phantasie war. Ich spürte und sah Frederics Erregung. Es sah aus wie in der Schule, als alle versuchen sollten, ein Kondom über die Banane zu rollen. Manche Jungen waren nicht aufgestanden. Sie sagten, sie hätten keine Lust, so etwas Doofes zu machen. Sie hatten die Hand in den Schoß gedrückt, damit man nichts sah. Aber wir hatten doch gewusst, was der wahre Grund dafür gewesen war.
Frederic drückte seine Hand auch in den Schoß. Trotzdem war zu sehen,
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