Erbarmen
werden. Aber das hatte nichts zu bedeuten.«
»Er ist groß und stark. Könnte es nicht sein, dass er sie - vielleicht auch nur aus Versehen - ins Wasser schubste?«
Helle Andersen verdrehte die Augen. »Auf keinen Fall. Uffe war die Güte in Person. Er konnte traurig werden, sodass man selbst ganz niedergeschlagen war, aber das kam nicht oft vor.«
»Sie haben für ihn gekocht?«
»Ich habe alles Mögliche gemacht. Sodass alles fertig war, wenn Merete nach Hause kam.«
»Und sie trafen Sie nicht so häufig?«
»Dann und wann.«
»Aber nicht in den Tagen vor ihrem Tod?«
»Doch. An einem Abend kurz davor habe ich auf Uffe aufgepasst. Und dann wurde er so traurig, wie ich schon gesagt habe, und da habe ich Merete angerufen, dass sie nach Hause kommen solle, und das hat sie dann gemacht. An dem Tag war es schlimm mit ihm.«
»Ist denn an dem Abend etwas Ungewöhnliches passiert?«
»Nur, dass Merete nicht wie sonst um sechs nach Hause kam. Das gefiel Uffe überhaupt nicht. Er konnte nicht wissen, dass wir es abgesprochen hatten, und ich konnte es ihm einfach nicht begreiflich machen.«
»Sie war Folketings-Abgeordnete! Das muss doch häufig vorgekommen sein, dass sie später kam?«
»Nein, nur wenn sie verreisen musste. Und dann auch nur mal für eine Nacht oder zwei.«
»Dann war sie also an dem Abend verreist?«
An dieser Stelle schüttelte Assad den Kopf. Wie viel wusste der Kerl eigentlich, das war ja verdammt irritierend. »Nein, sie war zum Essen ausgegangen.«
»Aha? Und mit wem, ist das auch bekannt?«, fragte Carl. »Nein, das weiß ich nicht«, erwiderte Helle Andersen.
»Es steht vielleicht im Bericht? Assad?«
Assad nickte. »Søs Norup, Meretes Sekretärin, hatte gesehen, dass sie den Namen des Restaurants in ihren Kalender eintrug. Und im Restaurant hatte sich jemand erinnern können, dass sie da war. Nur nicht, mit wem.«
In dem Bericht standen offenbar eine Menge Dinge, die er sich ebenfalls schnellstens aneignen musste. »Assad, wie hieß das Restaurant?«
»Bankeråt, ich meine, das hieß Cafe Bankeråt. Kann das sein?«
Carl wandte sich an Helle Andersen. »Wissen Sie, ob sie ein Date hatte? Hatte sie einen Freund?«
Da lächelte die Familienhelferin zum ersten Mal, in ihrer Wange erschien ein tiefes Grübchen. »Das könnte gut sein. Aber gesagt hat sie nichts.«
»Und sie sagte auch nichts, als sie nach Hause kam? Also nachdem Sie angerufen hatten?«
»Nein, ich bin gegangen. Uffe war ja so traurig, der war ja ganz neben der Spur.«
Da klirrte es leise, und der neue Hausbesitzer betrat höchst theatralisch das Zimmer. Er balancierte ein Teetablett mit ausgestreckten Armen und spitzen Fingern vor sich her, als trüge er darauf alle Geheimnisse der Gastronomie auf einmal. »Selbst gebacken«, mehr sagte er nicht, als er puddingartige Gebäckstücke auf einem Silbertellerchen bereitstellte.
Das weckte bei Carl Erinnerungen an eine entschwundene Kindheit. Keine erfreulichen, aber jedenfalls Erinnerungen.
Der Hausherr verteilte das Gebäck zwischen ihnen und machte darum ein ordentliches Gewese. Assad staunte.
»Helle, im Bericht steht, dass Sie am Tag vor Merete Lynggaards Verschwinden einen Brief annahmen. Erzählen Sie das bitte noch mal?« Wahrscheinlich stand das in ihrem Vernehmungsprotokoll, aber es tat ja nicht weh, es zu wiederholen.
»Der Umschlag war gelb, irgendwie so wie Pergament.«
»Wie groß?«
Sie zeigte mit ihren Händen die Größe. Also DIN
A6.
»Stand etwas darauf? Ein Name? Gab es einen Stempel?«
»Nein, weder noch.«
»Und wer brachte ihn? Kannten Sie denjenigen?«
»Nein, gar nicht. Es klingelte an der Tür, und draußen stand ein Mann und gab mir den Umschlag.«
»War das nicht ein bisschen komisch? Normalerweise bringt der Postbote doch die Briefe.«
Sie knuffte ihn vertraulich in den Arm. »Ja, wir haben hier einen Postboten. Aber dieser Mann kam doch später. Es war mitten während der Nachrichten im Radio.«
»Die um zwölf?«
Sie nickte. »Er hat ihn mir einfach gegeben, und dann ist er wieder gegangen.«
»Sagte er etwas?«
»Ja, der sei für Merete Lynggaard. Sonst nichts.«
»Und warum steckte er ihn nicht einfach in den Briefkasten?« »Vielleicht sollte sie ihn beim Heimkommen gleich sehen.«
»Ja, aber Merete Lynggaard wusste doch wohl, wer ihn gebracht hatte. Hat sie sich dazu geäußert?«
»Das weiß ich nicht. Ich war doch schon weg, als sie kam.«
Hier nickte Assad wieder. Das stand also ebenfalls im Bericht. Carl
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