Erbarmungslos: Thriller (German Edition)
Trakt Kopien aller bisher durchgeführten Recherchen auf. Vierter Stock.« Er riss das Blatt vom Block und reichte es Kyra.
Die Titel klangen langweilig, nicht aber die Daten der Veröffentlichung. »Einige sind so alt wie ich«, stellte Kyra fest.
»Ich wollte es ja nicht sagen, aber Sie haben recht«, bestätigte Jonathan. »Die jungen Leute begehen immer wieder den Fehler, die jüngste Vergangenheit als die wichtigere zu erachten.«
»Sie sind wirklich zu freundlich«, sagte Kyra.
»Zweifelsohne«, stimmte Jonathan zu.
»Fünf Piepen, und Sie verraten mir, dass Sie Asperger haben«, lockte Kyra.
»Um das herauszufinden, müssen Sie schon noch was drauflegen«, verlangte Jonathan.
»Was ist, wenn man mir die hier nicht gibt?«, fragte Kyra und hielt das Blatt hoch.
Jonathan hob eine Augenbraue. »Wenn Sie erst um Erlaubnis fragen müssen, bevor Sie sich etwas nehmen, arbeiten Sie in der falschen Behörde.«
Erst als sich die Tür hinter Kyra geschlossen hatte, betrat Jonathan das Büro des Abteilungsleiters. Dort ließ er sich in einen Stuhl fallen, während Cooke an der Tür stehen blieb und sich gegen den Türrahmen lehnte.
»Wie ist es dir ergangen, Jon?«, fragte Cooke.
»Einigermaßen gut«, antwortete er. »Und dir?«
Cooke zuckte mit den Schultern. »Einigermaßen gut.«
»Rauchst du noch immer Arturo Fuentes?«
»Nur zu Hause«, antwortete Cooke. »Ich kann das Rauchverbot nicht ändern. Schließlich gilt es bundesweit.«
»Es warschon schlimm, als George Tenet mit diesen Dingern hier herumgelaufen ist«, sagte Jonathan. Die Liebe des ehemaligen Direktors zu Zigarren war so berühmt, dass auf seinem offiziellem Porträt in der Behördengalerie eine aus seiner Jackentasche ragte.
»George hatte einen tadellosen Geschmack, was Tabak betrifft«, bemerkte Cooke. »Und der König von Jordanien schickte ihm immer Montecristo Edmundos aus Havanna. In meinem Humidor zu Hause liegen immer noch welche, die er mir gegeben hat. Komm doch ab und zu vorbei, dann rauchen wir eine zusammen.«
Cooke konnte nicht sagen, ob Jonathan den Wink absichtlich oder unabsichtlich überhört hatte. »Nein danke«, lehnte er ab. Cooke ließ sich nichts anmerken. »Ich stehe mit meiner Lunge auf freundschaftlichem Fuß, und so soll es auch bleiben.«
»Dir entgeht was«, kommentierte Cooke nur. »Triffst du dich mit jemandem?«
Jonathan neigte den Kopf zur Seite und verzog seine Lippen zu einem sarkastischen Grinsen. »Selten. Ich bin nur etwas für Kenner. Und du?«
»Die Arbeit hält mich auf Trab. Und mit den Jungs von der Sicherheit, die bei mir zu Hause herumlaufen, bleibt nicht viel Privatsphäre.«
»Stimmt.«
»Es wird nicht für ewig sein, Jon«, versicherte Cooke ihm. »Sei vorsichtig mit Stryker. Sie zu APLAA hinaufzuschicken ist, als würde man Christen den Löwen zum Fraß vorwerfen.«
»Ich halte nichts davon, Analysten im flachen Wasser das Schwimmen beizubringen«, konterte Jonathan.
»Wie findest du sie?«
Jonathan zuckte mit den Schultern. »Sie ist zu jung für mich.«
»Das wollte ich nicht wissen.« Cookes Stimme klang etwas schärfer als zuvor. »Sie ist Führungsoffizierin. Ihr erster Einsatz dauerte sechs Monate. Wir mussten sie vom Außendienst abziehen.«
»Hat sie eine Operation vermurkst?«, wollte Jonathan wissen.
Cooke schüttelte den Kopf. »In gewisser Hinsicht. Sie ist einem Stationsleiter in die Quere gekommen, der mit dem Direktor des Inlandsgeheimdienstes befreundet ist. Er hat sie zu einem Treffen mit einem inländischen Spion geschickt, der sich als Doppelagent entpuppt hat. Sie war von vornherein misstrauisch, genauso wie wir es waren, aber der Stationsleiter ging auf ihre Bedenken nicht ein. Erteilte ihr den direkten Befehl zum Vormarsch. Sie wurde enttarnt und ging den Örtlichen beinahe ins Netz.«
Jonathan dachte einen Moment nach. »Venezuela?«
Cooke nickte. »Der Inlandsgeheimdienstdirektor stützte seinen Rat an den Präsidenten auf die Berichte eines Doppelagenten. Er brauchte jemanden, dem er die Schuld in die Schuhe schieben konnte, und war mit dem Stationsleiter eng befreundet, sodass sie dort vom Gewitter verschont blieben«, berichtete sie. »Sie braucht einen sicheren Unterschlupf.«
»Der Rest der Analysten mag mich nicht, und der NCS mag die Analysten als Ganzes nicht. Du setzt sie also auf eine Stelle, wo sie garantiert von allen gehasst wird.«
»Das ist nicht dein Problem. Wenn sie schlau ist, lässt auch sie das nicht zu ihrem Problem werden.«
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