Erbarmungslos: Thriller (German Edition)
Cooke drückte sich vom Türrahmen ab und wandte sich zum Gehen. »Übrigens wird Liang um zwanzig Uhr dreißig seinem Pressekorps gegenüber eine Erklärung abgeben. Ich habe das Open Source Center angewiesen, die Erklärung auf dem internen Netz zu zeigen. Das Außenministerium sagt, er werde über die Verhaftungen sprechen.«
Jonathan sah auf die Uhr an der Wand und berechnete die Zeitverschiebung. »Ist das sicher oder das Gerücht eines jungen Diplomaten, der das in der Kneipe gehört hat?«
Cooke zuckte mit den Schultern. »Eines von beiden? Sowohl – als auch? Die Verhaftungen sind das Einzige dort drüben, was eine Pressekonferenz wert wäre. Brauchst du noch was, um anfangen zu können?«
»Ein Transkript vom Treffen des Ständigen Ausschusses des Politbüros in Zhongnanhai.«
»So was nennt man ›Hartziel‹.« Cooke lächelte. »Das wäre, als würde man versuchen, eine Wanze im Weißen Haus unterzubringen.«
»Was aber nicht heißt, dass es unmöglich ist«, hielt Jonathan dagegen. »Wir sollten doch in der Lage sein, ein Mitglied des Ständigen Ausschusses zu rekrutieren, oder?«
»Dürfte ich dir nicht sagen, wenn dem so wäre«, antwortete Cooke.
Büro für asiatisch-pazifische, lateinamerikanische undafrikanische Analyse (APLAA)
CIA-Zentrale
Der APLAA -Trakt war genau so, wie sich Kyra die Rote Zelle vorgestellt hatte, und mindestens zehn Mal so groß und mit so vielen Arbeitsplätzen ausgestattet, dass sie sich fragte, ob die Behörde die Feuerschutzbestimmungen nicht verletzte. Neben einem gewerbetauglichen Kopiergerät standen auf zwei Regalbrettern übereinander Laserdrucker, die alle in Betrieb waren. Die Säcke mit dem geheimen Müll quollen über und warteten darauf, in den Müllschlucker geworfen zu werden, der im Keller landete, wo jemand alles schreddern und verbrennen würde. Hier sah es aus und hörte sich so an, als wären hundert Leute zusammengepfercht. Kyra spürte förmlich ihre Energie. Ein etwas unkontrolliertes Chaos , dachte sie. Die Spannung in diesem Trakt war wie die Feuchtigkeit an einem heißen Tag in Virginia, fast greifbar und genauso durchdringend. Es war zwar laut hier, doch es fehlten die Stimmen, was Kyra eher nervös machte. Alle arbeiteten, niemand sprach. Ob die Analysten darauf getrimmt waren, sich unter Stress an ihre Schreibtische hinter die Abtrennwände zu verziehen?
Ein Mädchen in Jeans und schwarzem Polohemd – akzeptable Kleidung an Schneetagen – trat auf sie zu. Ein grauer Anhänger an ihrer Tasche wies sie als College-Praktikantin aus, die legale CIA -Version von Sklavenarbeit.
Armes Kind , dachte Kyra, auch wenn sie selbst höchstens fünf Jahre älter war. Man hätte den Praktikanten freigeben sollen, statt sie an einem verschneiten Tag herkommen zu lassen.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Praktikantin.
Ich hoffe, ich klinge wie eine Analystin . Doch sie kam sich wie ein Idiot vor. »Ich bin Kyra Stryker von der Roten Zelle. Wir schreiben was über die Angriffe auf Taiwan von gestern Abend und bräuchten dazu ein paar Rechercheunterlagen.«
Die Praktikantin runzelte die Stirn. »Weiß Ihr Direktor davon?«
Selbst diese befristete Arbeitskraft hasst die Rote Zelle . »Ich weiß nicht«, gab Kyra zu. »Wir haben den Auftrag erst vor einer Stunde erhalten. Ich führe nur ein paar Recherchen für eine Presseunterrichtung durch.« Noch ein Begriff, den sie von Analysten gehört hatte und von dem sie hoffte, dass sie ihn korrekt verwendete.
Offenbar. »Was brauchen Sie?«, fragte die Praktikantin ungeduldig, obwohl sie keine Vollzeitkraft war. Sie hatte von allen Mitarbeitern am wenigsten Druck, sodass ihr Mangel an Anstand nicht gerechtfertigt war.
»Ich könnte Ihre Hilfe bei der Suche nach ein paar alten Geheimdienstberichten brauchen.«
»Wie gesagt, wir sind im Moment alle beschäftigt. Sie sollten die Berichte online suchen.«
Sie sind beschäftigt. Und du bist nur hier, um den anderen den Rücken freizuhalten . Kyra betrachtete die junge Frau einen Moment. Ihre Ausbilder auf der Farm hatten in Kyra ein Talent entdeckt, mit dem sie ihr Gegenüber auf einen Blick einschätzen und Charaktereigenschaften allein über nonverbale Hinweise erkennen konnte. Für jemanden, der die Kunst der Spionage erlernte, war diese göttliche Gabe ein Segen, und ihre Ausbilder hatten ihr beigebracht, sie mit Hilfe taktischer Planung nutzbar zu machen. Einige Führungsoffiziere wussten nicht, wie man diese Fähigkeit ein- oder ausschaltete, weil
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