Erbarmungslos: Thriller (German Edition)
herausgefunden, was mit ihm passiert ist, trotz der vielen Möglichkeiten, die wir hier haben.«
Jonathan neigte den Kopf leicht zur Seite. Kyra schien sich kaum bewusst zu sein, dass er hier im Raum war. Er beschloss, ihr einen Fluchtweg zu eröffnen. »Sie können nach Hause gehen. Wir brauchen das nicht zu zweit an Cooke zu übergeben.«
Kyra sah wortlos auf, als hätte sie ihn nicht gehört. Ihr Zögern diente nur dazu, nicht den Eindruck zu erwecken, als eile sie zur Tür. Sie wollte schon fragen, ob er sich sicher sei, doch ihre Frage würde ihn vermutlich ärgern, wenn nicht gar seine Meinung bezüglich ihrer Intelligenz beeinflussen.
»Dann bis morgen.« Kyra griff zu ihrem Mantel und floh, ohne sich noch einmal umzudrehen.
CIA -Zentrale
Die Eingangshalle des Neubaus verfügte über acht Durchgänge, vier auf jeder Seite der Anmeldung. Über den Scannern der Hälfte der Durchgänge klebten »Außer Betrieb«-Schilder. Kyra entschied sich für den Durchgang rechts außen und hielt ihren Dienstausweis an das Lesegerät. Einen Augenblick lang tat sich nichts, bis das Gerät ein undefinierbares Geräusch von sich gab, ohne dass sich die Metallarme öffneten. Kyra hielt ihren Ausweis ein zweites Mal erfolglos an den Scanner. Verärgert sah sie zum Wachmann, der nach einer dritten Alarmmeldung endlich den Kopf hob.
»Gehen Sie einfach hier durch.« Der Wachmann wandte sich wieder einem Monitor zu.
Kyra ließ den Kopf sinken. Die größte Geheimdienstbehörde der Welt bringt ihre Ausweisleser nicht zum Laufen.
Der Wachmann sah nicht ihren Abscheu, als sie seiner Aufforderung folgte. Die automatischen Türen am anderen Ende öffneten sich erst im letzten Moment, und sobald sie unter dem Warmluftgebläse hindurchgegangen war, schlug ihr eisige Kälte ins Gesicht. Die Lampen entlang des Bürgersteigs wiesen ihr den Weg in der Dunkelheit bis zum Parkhaus. Wolken verdunkelten den Mond, sodass sie höchstens zwanzig Meter weit sehen konnte.
Das Parkhaus war fast leer und ihr Auto daher leicht zu finden. Sie stieg in den eisigen Wagen und startete den Motor.
»… die Existenz eines solch großen Spionagenetzes straft Präsident Tians Behauptung Lügen, China wäre ein Partner für Frieden und würde keine feindlichen Absichten gegen das taiwanische Volk hegen. Dementsprechend unterbreche ich Taiwans Teilnahme am Nationalen Wiedervereinigungsrat …« Kyra hatte ihr Satellitenradio auf BBC World Service eingestellt gelassen. Die Stimme des Übersetzers klang ruhig und gemessen, filterte die Wut und die Gefühle heraus, die Kyra in Liangs Stimme neben der Übersetzung hörte. Sie wünschte, sie könnte Chinesisch verstehen und den Originalton ohne Übersetzer hören. Zwei Stimmen zu hören bereitete ihr Kopfschmerzen.
»… das chinesische Festland und Taiwan sind untrennbar miteinander verbunden. Wir sollten friedliche und demokratische Wege finden, um das gemeinsame Ziel der Vereinigung zu erreichen. Wir sind eine Nation mit zwei Regierungen, gleichgestellt und souverän …«
Kyra verließ das Parkhaus und fuhr übers Gelände bis zur Ausfahrt zur Route 123. Das Wachhäuschen passierte sie mit zwanzig Stundenkilometern über der angezeigten Höchstgeschwindigkeitsbegrenzung. Die Wachen, wie sie richtig vermutete, kümmerten sich nur um Fahrzeuge, die zu schnell hineinfuhren.
Über die leere Route 123 pflügte sich Kyra ihren Weg durch die verschneite Stadt McLean. An der Dulles Toll Road, wo der Mittelstreifen nur hin und wieder unter den Schneewehen hervorlugte, bog sie wieder ab. Nach der Mautstelle verlief die Straße über eineinhalb Kilometer schnurgerade. Die Schneeräum- und Salzstreufahrzeuge waren mindestens ein Mal ausgerückt, sodass Kyra das Gaspedal durchdrücken konnte. Es war wahnsinnig, fünfundzwanzig Stundenkilometer schneller als erlaubt zu fahren, doch Kyra konnte sich nicht dazu durchringen, anständig zu sein.
Oben an der Treppe stampfte sie den nassen Schnee von den Stiefeln. Es schneite noch immer, und auf der Straße gab es keine überdachten Parkplätze. Am nächsten Morgen würde sie erst eine halbe Stunde lang ihren Wagen enteisen und ihre Windschutzscheibe mit der Kreditkarte freikratzen müssen. Vorausgesetzt, jemand würde die Straßen räumen.
Der Türknauf fror ihr fast an der Hand fest, als sie die Tür aufdrückte und noch ein letztes Mal auf die Fußmatte stampfte, bevor sie den kleinen Flur betrat. Sie warf die Schlüssel auf die Truhe, wo sie über das dunkle
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