Erbe des Drachenblutes (German Edition)
Wände.
Nirvan rannte. Er rannte und rannte und wollte einfach nur zu den zwei großen Flügeltüren gelangen, um den Saal wieder zu verlassen, aber er sah die Türen nicht. Es gab keinen Orientierungspunkt, an dem er ausmachen konnte, wo er sich befand. Selbst den nachtdunklen Thron des Monarchen sah er nicht. Irgendwann gab er es auf und blieb stehen. Jetzt fiel sein Blick auf den unscheinbaren Steinbrunnen. Vorher hatte er ihn nicht gesehen. Ein Brunnen in einem Audienzsaal, wieso war Cor Keto das so wichtig gewesen? Er näherte sich. Als er ihm so nahe war, dass er nur noch seine Hand ausstrecken musste, um ihn zu berühren, zögerte er. Ein normaler Brunnen, gemauert aus grob behauenen Steinen, genauso einer hatte im Garten des Hauses seiner Kindheit gestanden. Kein Grund, misstrauisch zu sein, oder?
Ein Flüstern schlich sich in seinen Verstand. Es war fast so, als käme es aus den Tiefen des Brunnenschachtes. Zuerst verstand Nirvan kein Wort, doch dann kam es ihm so vor, als taste etwas nach seinem Verstand.
`Was ist das?´, fragte er sich. Das zögerliche Tasten hielt inne, nur um nach einigen Herzschlägen noch energischer in seinem Verstand zu wüten. Er stöhnte auf und griff sich mit beiden Händen an den Kopf.
»Wer bist du?«, rief er laut. Das geistige Eindringen verringerte sich.
`Du bist nicht mein Freund?´ , stellte eine fremde Stimme in seinem Geist überrascht fest. ` Wie kann das sein? Es gibt hier keine Besucher nur mich und meinen Freund!´
Nirvan bemerkte, dass ihm Schweißperlen die Schläfen hinabliefen. Der Kontakt mit – was auch immer – war anstrengend und schmerzhaft. Es war stark!
`Du bist nicht mein Freund. Wer bist du?´ Die Präsenz schien unsicher zu werden, zögerte, dann kam es Nirvan so vor, als ob ein verängstigtes Kind sprechen würde. `Nicht richtig! Das ist nicht richtig! Du solltest nicht hier sein. Man darf mich nicht finden! Sie darf mich nicht finden!´
»Ich verstehe das nicht …«, versuchte er erneut, aber da zog sich das Tasten aus seinem Verstand ruckartig zurück und war verschwunden.
»Wir sind uns niemals begegnet, Magier«, waren die letzten Worte, die Nirvan vernahm, jedoch dieses Mal hörte er sie nicht in seinem Kopf wiederhallen, sondern tatsächlich aus dem Brunnenschacht kommen.
Nirvan verstand nicht, was geschehen war, doch da schlug er die Augen auf, um festzustellen, dass er noch in seinem Bett lag. Ein Traum! Es musste ein Traum gewesen sein. Er wischte sich unwillkürlich über die Stirn und merkte, dass er schwitzte. Eigentlich neigte er nicht zu emotionalen Träumen. Konnte es real gewesen sein? Falls ja, existierte dort unten im Brunnenschaft etwas – etwas, das Cor Keto geheim halten wollte.
Seine Neugier war geweckt, aber etwas anderes hatte Vorrang. Er schwang die Beine aus dem Bett und eilte zum Tisch. Man hatte ihm nach seiner vierjährigen Abwesenheit seine alte Kammer zugewiesen. Die Jahre hatten keine Spuren hinterlassen. Als er gegangen war, hatte er einen einfachen Zauber gewirkt, der jeden Staub von allen Gegenständen und Möbeln fernhielt. Und Eindringlinge schien es in seiner Abwesenheit auch nicht gegeben zu haben, denn alles war noch an seinem Platz. Er griff sich ein Stück rote Kreide und begann ein Pentagramm auf den Boden zu zeichnen und mit Runen zu beschriften. Als er fertig war, suchte er ein Gefäß mit getrockneten Blütenblättern einer schwarzen Nachtorchidee, zwei wurmstichige Zweige eines Bonateabaums – der bereits seit einigen Jahrzehnten nicht mehr existierte – und die in Alkohol eingelegten Beine einer seltenen Lurchart. Zuletzt wühlte er in einer Schublade drei rote Schuppen hervor, die jeweils größer als seine Handflächen waren – Drachenschuppen. Die verteilte er in gleichen Abständen auf dem Pentagramm. Dann kniete er sich in die Mitte, schnitt sich mit einem Messer in den Daumen und beträufelte jede Rune mit seinem Blut. Dabei murmelte er Worte, die kein anderer in seiner Nähe verstanden hätte. Als er fertig war, verschwamm die Luft vor ihm und es öffnete sich ein Sichtfenster zu einem anderen Ort. Aufmerksam blickte er hindurch. Er sah eine raue Steinwand, an der einige Bücherregale befestigt waren. An der Seite brannten Kerzen auf einem grob gezimmerten Kerzenständer. Er musterte jedes Buch und jeden Gegenstand, den er ausmachen konnte, aber eine lebende Person sah er nicht.
»Sommu Seth, hörst du mich?« Er flüsterte, doch auf der anderen Seite waren seine Worte laut und
Weitere Kostenlose Bücher