Erben der Macht
warteten, dass die Hüter der Waage, mit denen sie sich vor zehn Tagen verbündet hatten, ihnen Bescheid gaben, wann die Großoffensive ihrer vereinten Streitmacht den Angriff auf die Residenz der Dämonen durchführen konnte, schmiedete Bruder Samuel Pläne ganz anderer Art.
„Wir werden keineswegs alle überleben“, betonte er zum wiederholten Mal.
Nach Thomas’ Einschätzung würde kein Einziger von ihnen die an Wahnsinn grenzende Kamikaze-Aktion überleben.
„Deshalb ist es wichtig, dass jeder von uns weiß, was er zu tun hat. Nach unseren Informationen sind die Dämonen nur noch neunundzwanzig plus ihrer Fürstin und den beiden Halbdämonen. Dazu kommen zweiundsechzig menschliche Bedienstete, die zu ihrem Kult gehören, aber nicht über magische Kräfte verfügen. Die werden trotzdem alles versuchen, uns und die Hüter daran zu hindern, die Auserwählten zu töten oder auch nur an sie heranzukommen.“
„Ganz zu schweigen davon, dass uns die Dämonen vierteilen werden, wenn es uns gelingen sollte, ihre Pläne zu vereiteln“, ergänzte Bruder Cole. „Selbst wenn der Plan der Hüter gelingen sollte, dass sie einen Dämon unter ihren Willen zwingen können in der Form, dass er für sie gegen seine eigenen Leute kämpft, dürften die ihn schon aufgrund ihrer schieren Überzahl schnell erledigt haben.“
Bruder Samuel nickte. „Das ist mir bewusst, Bruder Cole. Aber falls es uns gelingen sollte, die Dämonen zu töten und nicht nur ein paar von uns, sondern auch von den Hütern der Waage überleben sollten, dann müssen wir die auch töten. Die Hüter frönen unheiliger Magie und sind Hexen und Zauberer, die wir gemäß Gottes Geboten nicht am Leben lassen dürfen. Vergesst das niemals, Brüder. Das ist unsere Aufgabe, unsere Pflicht. Die Pflicht eines jeden, der überleben sollte.“
Thomas schüttelte den Kopf. Er hatte Clive McBride kennengelernt, einen der führenden Köpfe der Hüter. Der Mann mochte ein Zauberer sein oder nicht, er hatte garantiert nicht verdient, nur deshalb ermordet zu werden.
„Du bist anderer Meinung, Bruder Thomas?“ Samuels Stimme klang scharf und kalt. Offenbar hatte er Thomas’ Kopfschütteln bemerkt.
Thomas wandte sich vom Fenster ab und Samuel zu. „Wenn ich dich richtig verstehe, Bruder Samuel, willst du und sollen wir, falls wir siegen sollten, unsere Verbündeten töten, denen wir diesen Sieg zu verdanken hätten. Immer vorausgesetzt, dass überhaupt einer von uns am Leben bleibt.“
„Selbstverständlich. So eine gute Gelegenheit werden wir nie wieder bekommen.“
„Das mag sein. Aber ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass es Gottes Wille ist, dass wir diejenigen töten, ohne deren Hilfe es uns niemals gelingen würde, an den Ort des Geschehens zu gelangen, um das Öffnen des Tores zu verhindern.“
Samuel verengte die Augen, ein Zeichen, dass er ungehalten war. „Wie du weißt, sind Menschen schwach und anfällig für das Böse.“
Thomas nickte. Das war ihm nur allzu bewusst. „Aber wenn Gott nicht wollte, dass Menschen Zauberkräfte besitzen, dann hätte er niemals geduldet, dass welche mit ihnen geboren werden.“
„Das ist Teufelswerk, Bruder Thomas!“, wies Samuel ihn scharf zurecht.
Thomas ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Tatsächlich? Dann ist die seherische Gabe unserer inzwischen toten Brüder Seher also auch Teufelswerk.“
Samuel schlug mit der Faust auf den Tisch. „Was ist in dich gefahren, Bruder Thomas, dass du derart ketzerischen Reden führst? Unsere Brüder Seher erhielten ihre Gabe von Gott. Wie kannst du daran zweifeln?“
Thomas wusste, dass es keinen Zweck hatte, mit Samuel zu diskutieren. Er glaubte nur, was er glauben wollte und würde nicht einmal dann davon abweichen, wenn man ihm hieb- und stichfest und unwiderlegbar beweisen würde, dass er sich irrte. Trotzdem war Thomas nicht bereit, klein beizugeben. „Das bezweifle ich nicht. Ich frage mich nur, mit welchem Recht wir uns anmaßen, mit zweierlei Maß zu messen. Unsere Brüder Seher waren keine Mönche, als sie mit ihrer Gabe geboren wurden. Aber sie wurden genauso getauft wie die magisch begabten Hüter der Waage, von denen auch einige Seher sind. Erkläre mir den Unterschied zwischen unseren Sehern und ihnen.“
„Wir dienen Gott!“
„Das tun sie auch. Die meisten von ihnen jedenfalls, nur dass sie sich nicht in einem christlichen Orden organisiert haben. Einige von ihnen haben sich bereit erklärt, uns zu helfen, um die Menschheit zu
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