Erben der Macht
richtig.
Er fühlte Marlandra – Bronwyn kommen und wandte sich ihr zu. Sie blickte ihn aufmerksam und, wie er fand, ein bisschen misstrauisch an. „Wie fühlst du dich, Gressyl?“
„Ungewohnt“, gab er zu. Er deutete mit einer ausholenden Bewegung auf die Landschaft. „Ich bin in der Lage, Schönheit wahrzunehmen.“ Und Marlandra war noch viel schöner als die Landschaft. Wie damals weckte sie Begehren und Lust in ihm. Aber er würde dem nicht nachgeben.
„Liebst du mich noch, Gressyl? Oder wieder?“
Er fühlte ihre Angst vor den möglichen Konsequenzen, falls dem so wäre. Seine dämonischen Sinne sogen sie in sich auf, aber sie schmeckte nicht mehr so gut wie sonst. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, die menschliche Seele zurückzunehmen. Er seufzte.
„Ich denke, ja“, beantwortete er ihre Frage. „In gewisser Weise. Aber das muss dich nicht beunruhigen. Ich werde diesen Gefühlen niemals nachgeben. Außerdem hast du mich damals dem Ziel verpflichtet, alles, wirklich alles zu tun, damit du und Maru das Eine Tor für immer verschließen könnt. Selbst wenn ich wollte, ich kann nicht anders, als diese Aufgabe zu erfüllen. Oder bei dem Versuch zu sterben.“
Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Es tut mir leid, Gressyl. Was die Menschen damals mit dir getan haben, indem sie dir eine Seele aufgezwungen haben, war ein wirklich schlimmes Unrecht. Und ich habe auch eins begangen, indem ich dich durch diesen Schwur zu etwas gezwungen habe, das du freiwillig nicht tun wolltest und das dich jetzt vielleicht das Leben kosten wird. Ich gebe dir hiermit dein Wort zurück.“
Er lächelte und legte die Hand gegen ihre Wange, streichelte ihr Gesicht. Und freute sich, dass sie weder zurückzuckte noch seine Hand abwehrte. „Einen bei Thorluks Schädel und Kallas Blut geleisteten Schwur kann man nicht zurücknehmen, nicht zurückgeben, nicht für nichtig erklären und auch nicht nachträglich ändern. Er bleibt buchstäblich bis in alle Ewigkeit bestehen, sogar noch über den Tod hinaus. Und zwar genau in dem Wortlaut, in dem er geschlossen wurde . Aber danke für das Angebot. Ich würde es allerdings auch nicht annehmen, wenn das möglich wäre.“
„Warum?“
Er hörte auf, ihr Gesicht zu streicheln und ließ die Hand sinken. „Weil das Eine Tor endlich versiegelt werden muss. Es hätte niemals geöffnet werden dürfen. Nachdem ich meine Seele wiederhabe, ist mir bewusst geworden, was es für diese Welt bedeutet, dass Py’ashk’hu und Ke’tarr’ha sie betreten haben. Die drei Welten – die der Götter, diese Welt und die Unterwelt – wurden nicht ohne Grund voneinander getrennt erschaffen. Diese Ordnung sollte nach Möglichkeit nicht gestört werden, sonst gerät alles aus dem Gleichgewicht. Also sehe ich zu, dass ich meinen Teil dazu beitragen kann, den Fehler zu korrigieren, den Reya gemacht hat, als sie das Tor geöffnet und diese Welt betreten hat.“
Bronwyn blickte ihn an; verwundert, wie ihm schien. Aber menschliche Emotionen und ihr Ausdruck waren ihm noch fremd.
„Du bist ja richtig weise, Gressyl.“
Er schüttelte den Kopf. „In mir steckt zwar die Seele eines Mannes, der sehr weise war, aber ich bezweifele, dass ich weise bin. Oder jemals sein werde. Dazu verstehe ich noch viel zu wenig. Zum Beispiel, warum es aus menschlicher Sicht falsch ist, wenn Dämonen Menschen unter ihren Willen zwingen, aber es akzeptiert wird, wenn Menschen sich einen Dämon gefügig machen; sei es, indem sie ihn mit einem Bann belegen oder ihm eine Seele aufzwingen.“ Er deutete mit dem Daumen auf sich. „Weißt du darauf eine Antwort?“
Bronwyn schüttelte den Kopf. „Grundsätzlich ist und bleibt beides dasselbe Unrecht. Ich kann es nur damit erklären, dass die Menschen die Dämonen als Feinde betrachten und auf dem Standpunkt stehen, dass man sich gegen Feinde mit allen Mitteln wehren darf; auch wenn man dabei selbst Unrecht tut.“
Er stützte die Hände auf das Geländer des Balkons und blickte wieder auf die Landschaft. Ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen, ehe er sie wieder ansah. „Bist du auch dieser Meinung?“
Sie schüttelte den Kopf. „Wenn ich dieser Meinung wäre, hätte ich mich neulich Devlins Ansinnen angeschlossen, dass du die Mönche töten sollst, die den Angriff auf uns in Indien überlebt haben. Du erinnerst dich?“
Er nickte. „Du hast das damit begründet, dass ihr eure Menschlichkeit verliert, wenn ihr sie tötet oder töten lasst. Das habe
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