Erben des Blutes: Verborgene Träume (German Edition)
einer der Wölfe um deine Hand anhält. Es reicht, wenn du zur falschen Zeit am falschen Ort bist.« Er rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf. »Worin liegt denn der Reiz, um eine Frau zu werben, wenn die einen Antrag gar nicht ablehnen kann? Ich werde euch Wölfe nie verstehen.«
»Musst du auch nicht. Das nennt man Biologie. Mir gefällt das genauso wenig. Das ist einer der Gründe, warum Werwölfinnen immer noch als Personen zweiter Klasse gelten, und das ist wesentlich mit schuld daran, dass Rudel sich so abkapseln. Ein Überfall eines anderen Rudels reicht, und alle Weibchen im gebärfähigen Alter gehören den Rivalen.«
»Das ist ja widerlich.«
Lyra nickte achselzuckend. »Kann man wohl sagen. Vor langer Zeit ist so etwas tatsächlich passiert, und mehr als ein Rudel wurde auf diese Weise ausgelöscht. Heutzutage kommt das seltener vor. Aber als Mädchen geboren zu werden, ist immer noch gefährlich. Vor allem, wenn man die Tochter eines Alphatiers ist und die Ehe mit ihr jede Menge Vergünstigungen mit sich bringt.«
Er grübelte eine Weile darüber nach. »Und was bedeutet dieses Band für dich? Könntest du es nicht einfach ignorieren? Den Kerl abblitzen lassen, auch wenn es mühsam ist?«
»Also, daran sieht man mal wieder, wie wenig du über Wölfe weißt.« Sie lächelte matt. »Wir bekommen zusätzlich ein Mal. Am Oberarm. Die dienen ausschließlich der Partnersuche. Die Male der Paare stimmen überein. Man kann es nicht entfernen, und es ist leicht zu überprüfen. Was aber noch schlimmer ist: Das Band macht es schwer, vom anderen getrennt zu sein. Habe ich zumindest gehört. Es hat so etwas wie eine emotionale Komponente, fast wie Telepathie. Ich weiß nicht genau, wie es funktioniert, und ich will es auch gar nicht wissen. Angeblich zerstört der Tod das Band. Aber mein Vater hat den Verlust meiner Mutter nie überwunden, und das ist schon Jahre her.«
Über ihre Mutter wollte sie nicht reden, und ihr tat es bereits leid, sie überhaupt erwähnt zu haben. Und wie nicht anders zu erwarten, stellte Jaden umgehend die Frage, und zwar in einem so ruhigen Tonfall und frei von jedem Vorurteil, dass sie schon antwortete, ehe sie es sich noch anders überlegen konnte.
»Was ist passiert?«
»Jäger«, sagte Lyra. »Sie war allein weit weg von zu Hause in den Wäldern unterwegs. Das hätte sie nicht tun sollen. Vielen Menschen ist es egal, auf was sie schießen. Hauptsache, die Trophäe macht sich gut an ihrer Wand. Viel weiß ich nicht darüber. Ich war damals noch ganz klein. Aber das nur nebenbei.« Dieser Teil der Diskussion war zu Ende. Von all den Tränen, die sie um ihre Mutter vergossen hatte, die nie mehr nach Hause kommen würde, brauchte er nichts zu erfahren. Von der Lücke in ihrem Leben, die sich nie geschlossen hatte. Er würde es vermutlich sowieso nicht verstehen.
»Der entscheidende Punkt ist«, fuhr sie mit fester Stimme fort, »mir ist völlig unklar, wie mir das, was da anscheinend zwischen uns ist, helfen könnte, mein Ziel zu erreichen. Im Gegenteil: Wie gesagt, ich bin nicht auf Partnersuche. Das gilt für alle Männer. Selbst wenn du kein Vampir wärest, würde das nichts ändern. Ein Mann würde dem Rudel nur als Vorwand dienen, mich beiseitezuschieben, und ich muss die Prüfung gewinnen, und zwar allein.«
»Da ich auch nicht heiraten will und schon vor langer Zeit gelernt habe, mich emotional nicht allzu sehr auf Sterbliche einzulassen, verstehe ich nicht, wo das Problem liegt.«
Sie schaute ihn an und musste über seinen Pragmatismus lächeln. »Du plädierst also für bedeutungslosen Sex. Ach so, das ist dann natürlich ganz was anderes.«
Er deutete ebenfalls ein Lächeln an, und in dem fast stockdunklen Wagen war sein Gesicht gleichzeitig wunderschön und traurig, wie das eines gefallenen Engels. »Bedeutungslos ist der falsche Ausdruck. Schau, ich war länger in Sklaverei oder auf der Flucht, als irgendwer von deinem Rudel auf der Welt ist. Jetzt bin ich endlich frei und habe, ehrlich gesagt, keinen blassen Schimmer, was ich eigentlich will. Aber eins weiß ich ganz genau: Manchmal ist nichts dagegen einzuwenden, etwas einfach nur zu genießen. Das ist nicht bedeutungslos. Nur realistisch. So ist das Leben.«
Die Ehrlichkeit dieser Feststellung berührte Lyra, auch wenn ihr unklar war, wie sie darauf reagieren sollte. Schweigend fuhr sie weiter, während sie versuchte, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen – um herauszufinden, was sie wollte, was sie
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