Erben des Blutes: Verborgene Träume (German Edition)
sie unterwegs, arbeiteten hier oder in anderen Städten in der Umgebung und kehrten abends zu ihresgleichen zurück. Das Leben hier hatte einen Rhythmus und eine Gleichmäßigkeit, die Jaden nach all den unruhigen Jahren durchaus angenehm fand. Aber er verstand auch, dass dieses Leben auf einige eher erstickend wirken musste … besonders auf einen jungen Wolf, der noch nie von Zuhause fort gewesen war.
»Ich weiß nicht«, antwortete Simon und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. »Ja … und nein. Wenn man in ein Rudel hineingeboren wird, hat man nicht viele Wahlmöglichkeiten, verstehst du? Die meisten von uns sind hier aufgewachsen, und man erwartet von uns, dass wir bleiben. Und wenn man das will, ist es das Beste überhaupt! Aber es ist immer dasselbe. Nie ändert sich was. Und ich würde einfach –«
Jaden konnte sich eines mitfühlenden Lächelns nicht erwehren. »Ob du es glaubst oder nicht, ich weiß genau, wie sich das anfühlt.« Simon hatte, ohne es zu wissen, gerade Jadens sterbliches Leben beschrieben. Jetzt konnte er auf diese Zeit zurückblicken und die Gefühle als das sehen, was sie waren: der normale Schmerz eines jungen Manns, der seinen eigenen Weg einschlagen will, von dem aber erwartet wird, dass er alles so macht, wie es immer gemacht worden ist.
Dem hatte Jaden sich auf grandiose Art und Weise entzogen, das konnte man wirklich nicht anders sagen. Aber auch das war nicht seine Wahl gewesen. Man hatte ihn einfach von dem einen vorbestimmten Weg auf einen anderen verschleppt. Und das ohne Rückkehrmöglichkeit.
Simon lächelte und deutete mit dem Bierglas in Jadens Richtung. »Das habe ich mir schon gedacht. Du hast irgendwie diese Aura eines Vagabunden. Wo bist du schließlich gelandet?«
»Vagabund?«, hakte Jaden nach. Simon nickte, und Jaden überlegte, wie er am besten darauf antworten sollte. So eine Frage wurde ihm nicht oft gestellt. Eigentlich nie.
»Das könnte ich dir erst beantworten, wenn ich endlich mal irgendwo angekommen wäre«, sagte er schließlich.
Simon grinste. »Verstehe. Gib mir Bescheid, wenn es so weit ist.« Sein Gesichtsausdruck wurde ein wenig traurig. »Das Einzige, wo ich hinkomme, ist nur ein Ersatz: die Karriereleiter rauf, in die Rudelwache. Aber wenn ich erst ein oder zwei Narben habe, finde ich vielleicht auch eine Frau. Es gibt Schlimmeres.«
Es überraschte Jaden, wie stark sich sein sterbliches Selbst an diesem Abend ausgerechnet in einem Werwolf spiegelte. Er konnte Simon verstehen, mehr als er mit Worten hätte ausdrücken können. Und aus diesem Verständnis heraus hätte er ihm gern geholfen. Er selbst hatte sein Wanderleben allmählich satt, aber den meisten Leuten war nun mal kein ewiges Leben gegeben.
»Vielleicht kannst du mal nach Massachusetts kommen, wenn ich abgereist bin. Dann kann ich ja eine Vampirversammlung einberufen, damit du lernst, wie man heiße Frauen erobert.«
Simon grinste. »Gar keine schlechte Idee. Wenn du das ernst meinst, komme ich vielleicht wirklich mal. Normalerweise kommen wir kaum aus unserem Territorium raus, aber Dorien scheint dich zu mögen, also schauen wir mal …«
Die Aussicht schien Simon zu faszinieren. Jaden freute sich, zur Abwechslung mal jemand anderem seine Hilfe anbieten zu können. Aber jetzt wollte er endlich wissen, um was es hier wirklich ging. Simon hatte irgendetwas auf dem Herzen. Außerdem wollte Jaden zurück und nach Lyra sehen, auch wenn er bezweifelte, dass sie das zu schätzen wissen würde. Ihm hatte gar nicht gefallen, wie sie heute Abend ausgesehen hatte.
»Schön. Simon, worum geht es hier eigentlich wirklich?«
Das Thema, um das Simon jetzt schon seit einer Stunde herumredete, war Jaden klar, sobald der Wolf die Augen senkte. Jadens Gefühl hatte ihn nicht getrogen. Das hier war nicht nur ein geselliger Abend.
»Tja. Gutes Essen und Bier? Neue Freundschaften?«
»Und was noch? Ich freue mich über die Einladung, aber ich habe auch noch ein paar Dinge zu erledigen. Trotzdem danke«, fügte er hinzu, und das meinte er auch ehrlich. »Ich weiß, dass ich es nur Dorien zu verdanken habe, dass man mich noch nicht in Stücke gerissen hat, aber du warst wirklich richtig freundlich zu mir. Normalerweise werde ich nicht so nett aufgenommen.«
Simon richtete den Blick auf einen Tisch mit sechs Wölfen, die Jaden anstarrten, seit Simon und er das Lokal betreten hatten.
»Für unseren ersten Vampirbesuch seit … nun ja, ewigen Zeiten machst du dich eigentlich gar nicht schlecht.
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