Erben des Blutes: Verborgene Träume (German Edition)
Alles würde ihr weggenommen werden, und falls sie sich jemals wieder auf unserem Territorium blicken ließe, würde man sie töten. Es würde sich auch kein anderes Rudel finden, das sie aufnimmt. Sie würde zu einem, wie wir das nennen, Geisterwolf werden. Ein Schatten dessen, was sie mal war … und hätte werden können.«
Erst jetzt wurde Jaden bewusst, wie unendlich viel Lyra riskiert hatte, als sie sich ihm hingegeben hatte. Es fühlte sich an, als wäre eine Tonne Ziegelsteine auf ihn herabgeprasselt.
Kein Wunder, dass sie ihm heute Abend aus dem Weg gegangen war. Egal wie sehr sie ihn begehrt hatte – nachdem sie dieser Begierde nachgegeben hatte, war ihr bewusst geworden, was sie da alles losgetreten hatte.
»Findest du das nicht ein bisschen übertrieben?«, brachte er mühsam heraus.
»Meine Meinung ist dabei völlig unwichtig«, erwiderte Simon. »Vampire waren seit Jahrhunderten unsere Feinde. Seit langer Zeit ist alles ruhig geblieben, und seit du hierhergekommen bist, frage ich mich, ob sich das Verhältnis zwischen den Vampiren und uns nicht doch ändern könnte. Aber dass sich unsere Spezies mit eurer vermischt? Solch eine Beziehung wäre kinderlos, aber selbst wenn es Kinder gäbe, was sollte man mit solchen Mischlingsmonstern anfangen? Auf die Art könnten ganze Rudel aussterben. Und wir würden immer in der Angst leben, dass die Vamps einfach das Kommando übernehmen. Die Gesetze werden sich nicht ändern, Jaden, jetzt nicht und noch lange nicht.«
Er trank einen Schluck von seinem Bier und sah Jaden aufmerksam in die Augen. Jaden war überrascht – der Wolf bekam sehr viel mehr mit, als er ihm zugetraut hätte.
»Tut mir leid, dass ich der Überbringer der schlechten Nachrichten sein muss. Aber ich sehe ja, wie du sie anschaust. Und ich bin nicht der Einzige, das solltest du wissen.«
Jaden seufzte. Er musste sich wohl doch ein wenig Hoffnung gemacht haben, denn so fühlte man sich nur dann, wenn einem sämtliche Hoffnung nachhaltig ausgetrieben wurde.
»Und wenn jemand mehr will? Wenn sie mehr will, als die Gesetze erlauben?«
Simon zog eine Augenbraue hoch und schüttelte den Kopf. »Lyra weiß, wie es läuft, glaub mir. Niemand bekommt alles, was er will. Weder hier noch sonst wo. Das dürfte doch nichts Neues für dich sein.«
Nein, bestimmt nicht.
Jaden schob die Bierflasche zur Seite und griff nach dem Glas Wasser, das daneben stand. Es war angenehm, wie das kühle Wasser seine Kehle hinablief. Nur am Rande nahm er wahr, wie ausgedörrt er war, wie sehr er sich nach etwas Reichhaltigerem sehnte. Etwas Dunklem, Gehaltvollem, das an diesem Ort verboten war.
Das Raum fühlte sich auf einmal viel zu klein an, der Wolfsgeruch schlug von einer Sekunde auf die andere von erträglich in erstickend um. Falls er sich jemals eingebildet hatte, das mit Lyra könne vielleicht mehr als nur eine kurze Liebelei werden, dann waren diese Illusionen gerade endgültig zerplatzt.
Doch als sie in voller Lebensgröße und unaussprechlich bezaubernd in die Kneipe gerauscht kam, war er sofort wieder gefangen, und außer ihr schien es in seinem Universum nichts anderes mehr zu geben. Sobald sie ihn ansah, war das, als würde jemand mehrere Tausend Volt durch seinen Körper jagen. Ihm wurde der Mund wässrig. Seine Fangzähne verlängerten sich und wurden spitz und scharf, eine instinktive Reaktion auf ihre Anwesenheit.
Keine Vorsicht. Nur Begierde.
Jaden war so fixiert auf Lyra, dass er kaum noch mitbekam, was Simon sagte. »Zu oft zusammen allein … hör auf mich, bevor du irgendeine Dummheit machst …«
Jaden hätte ihn gewarnt, wenn es ihm nicht die Sprache verschlagen hätte. So aber stand Lyra schon fast am Tisch, bis Simon bemerkte, dass sie nicht mehr allein waren. Jaden musste ihr zugutehalten, dass sie – abgesehen von einem kurzen vorwurfsvollen Blick zu Simon – so tat, als hätte sie nichts gehört. Stattdessen richtete sie die Aufmerksamkeit sofort auf Jaden.
Sie bekam nicht mit, wie Simon rot wurde und wegschaute, aber Jaden entging seine Reaktion nicht.
Der arme Kerl ist in sie verliebt und weiß es nicht mal.
Dennoch – Jadens Mitleid hielt sich in Grenzen. Simon hatte immerhin eine Chance. Schließlich gehörte er der richtigen Spezies an. Jadens Probleme waren im Vergleich dazu viel größer.
Zum Beispiel das Problem, wie er seine Gefühle für Lyra abwürgen sollte, die in tiefem, fruchtbarem und doch so täuschendem Boden Wurzeln geschlagen hatten.
»Hallo«, sagte sie.
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