Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
winzige Diele ausmachen, von der aus eine Treppe nach oben führte – wohl in den Wohnbereich. Die Garage schien das gesamte Untergeschoss einzunehmen.
Als sich nichts rührte, läutete sie noch einmal. Sie wollte gerade aufgeben, als sie Schritte auf der Treppe hörte. Rachel riss die Tür auf. Angst und Schrecken standen ihr ins Gesicht geschrieben, aber als sie sah, wer gekommen war, wich die Anspannung jäh, und sie schien einem Zusammenbruch nahe zu sein.
»Ach, Sie sind das!«
Madeleine fragte sich, wen sie wohl erwartet hatte. Rachel sah ungepflegt aus, und ihr Haar war nicht gekämmt. Die Prellungen in ihrem Gesicht waren abgeheilt, aber sie wirkte blass.
»Wen haben Sie denn erwartet?«
»Was wollen Sie hier?«, fragte Rachel angespannt zurück.
Madeleine wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Mit einem solch brüsken Empfang hatte sie nicht gerechnet, aber Rachel war unzweifelhaft sehr nervös. Vielleicht bedeutete jedes Läuten an der Tür eine Art Bedrohung für sie. Nicht zuletzt durch ihren Zuhälter-Freund, der ihren Sohn entführen wollte und zu jeder Gewalttat bereit war, wenn sie sich widersetzte.
»Ach, egal«, sagte Rachel jetzt. »Ist es der Pass? Sind Sie deswegen gekommen?«
Madeleine griff in ihre Handtasche und zog den Umschlag hervor. Sie hielt ihn Rachel hin.
»Dem Himmel sei Dank«, rief Rachel, sah den Umschlag einen Moment lang an, nahm ihn aber nicht. »Madeleine, bitte«, meinte sie schließlich, ohne den Blick zu heben. »Könnten Sie ihn eine Weile für mich aufheben? Ich weiß, es ist viel verlangt, aber könnten Sie ihn in eine Schublade legen, wo er Sie nicht stört?«
»Ich glaube schon.« Langsam steckte Madeleine den Umschlag wieder in ihre Handtasche. »Möchten Sie mir sagen, was es mit dem Pass auf sich hat?«
»Das ist eine komplizierte Geschichte. Wenn Sie ihn nicht aufbewahren wollen, ist das kein Problem. Ich mache Ihnen keine Vorwürfe.«
Madeleine wartete, erhielt aber keine weitere Erklärung. »Darf ich kurz eintreten?«
Nach einem kurzen Zögern trat Rachel einen Schritt zurück. Sie war offensichtlich nicht bereit, ihre Besucherin nach oben zu bitten. Madeleine folgte ihr in die kleine Diele, aber deren Enge erschwerte die Situation zusätzlich.
»Es scheint, dass Sie die Therapie aufgegeben haben, Rachel.«
»Tut mir leid. Ich weiß, ich bin ein Feigling, dass ich es Ihnen nicht gesagt habe, aber ich habe es nicht geschafft. Das ist alles.«
Madeleine sah sie angestrengt an. »Was genau haben Sie nicht geschafft?«
»Die Vergangenheit hochzuholen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Sehen Sie, nichts hat sich geändert.«
»Da bin ich anderer Meinung, Rachel. Meiner Meinung nach haben wir Fortschritte gemacht. Alles, was sich lohnt, kostet ein bisschen Blut, Schweiß und Tränen.« Sie versuchte zu lächeln, aber ihr Mund gehorchte ihr nicht.
Rachel zwang sich zu einem müden Lachen. »Ich habe genug Blut, Schweiß und Tränen für ein ganzes Leben gehabt, Madeleine. Warum sollte ich noch mehr davon wollen?«
Ja, sie hatte recht. Warum? Madeleine glaubte an die Therapie, aber sie verstand auch, dass jemand zögerte, den alten Mist aufzurühren und darin herumzustochern, um die Gründe für das Geschehene zu finden. Sie fragte sich sowieso, ob sie hier nicht über etwas sprach, das zwischen ihnen beiden nicht mehr funktionierte. Die Therapeutin hegte gegenüber der Patientin, der sie helfen sollte, zu widersprüchliche Gefühle. Auch wenn sich alles als Phantasterei und wilde Spekulation herausstellen sollte, würde es ihnen gewiss im Wege stehen.
»In Ordnung, Rachel. Ich zögere. Der Gedanke, dass Sie nicht wiederkommen, betrübt mich. Aber das ist wohl mein Problem.« Sie trat etwas näher zu Rachel hin und legte die Hand auf ihren Arm. »Geht es Ihnen gut?«
Rachel wich einen Schritt zurück. »Ich halte mich über Wasser.« Sie zog die Tür auf, um anzuzeigen, dass das Gespräch beendet war. Madeleine hatte keine andere Wahl, sie musste gehen.
Sie drehte sich ein letztes Mal zu Rachel um. »Wenn Sie reden möchten und Ihnen das helfen würde, können Sie jederzeit Ihre Meinung ändern. Sie tragen eine große Last und haben wenig Unterstützung. Wenn Sie mich brauchen, bin ich für Sie da.«
»Gut, gut, ich werde es mir merken. Ja, danke«, sagte Rachel rasch. Sie lehnte sich aus der Tür und suchte mit ängstlichem Blick die Straße ab. Dann sah sie Madeleine einen Augenblick an, als wolle sie etwas fragen.
»Ja?«, half ihr
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