Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
verbundene Gefühl der Machtlosigkeit, zum anderen die reale Drohung, dass er Ihren Sohn entführen wird. An dem einen können wir arbeiten, das andere … scheint eine Sache für die Polizei zu sein. Haben Sie mit irgendjemandem über die Erpressung gesprochen?«
»Das meinen Sie doch wohl nicht im Ernst?«, meinte Rachel verächtlich. »Ich kann mir vorstellen, in was für einer Welt Sie leben, aber glauben Sie mir, bei Leuten wie ihm geht man nicht zur Polizei.«
»Hat er einen Namen?«
Erneut ein verächtlicher Blick. »Warum?«
»Können wir ihm irgendeinen Namen geben?«
»Gut, wenn es sein muss. Wie war’s mit Rudolf? Wie Rudolf Nurejew, der Tänzer. Jeder sagt, dass er genau wie er aussieht, nur größer und schwerer und ohne das schwule Drum und Dran. Er ist durch und durch ein Mann.«
»Durch und durch ein Mann?« Madeleine zog eine Augenbraue hoch.
Rachel sagte nichts, sondern starrte sie lediglich verdrießlich an.
Madeleine war ratlos. Sie war sich nicht sicher, welchen Weg sie einschlagen sollte, und ihre Patientin wies ihr keine Richtung. »Könnten Sie mir ein paar Hintergrundinformationen geben?«, bat sie – zum Teil, um Zeit zu gewinnen. »Wie lange sind Sie schon mit Rudolf zusammen?«
»Mit Rudolf? Ach, nennen wir doch die Dinge bei ihrem verdammten Namen. Er heißt Anton.«
»Also gut, wie lange sind Sie schon mit Anton zusammen?«
Rachel nahm ihre Finger zu Hilfe und rechnete schnell nach. »Rund zehn Jahre, mal mehr, mal weniger.« Sie zögerte kurz und sah dann zu Madeleine hoch. »Woher kommen Sie eigentlich? Was ist das für ein Akzent, den Sie haben?«
»Ich bin Amerikanerin«, antwortete Madeleine widerstrebend.
»Amerikanerin?« Rachel runzelte die Stirn. »Wieso sind Sie nach Bath gekommen?«
»Wegen bestimmter Umstände …«, erwiderte Madeleine vage. »Ich bin eine halbe Britin.«
»Aha«, nickte Rachel. »Eine halbe Britin. Welche Hälfte ist denn britisch?«
»Rachel!«, lächelte Madeleine. »Wen interessiert das? Wir sprechen über Sie.«
Wieder ein ärgerliches Stirnrunzeln. »Was müssen Sie denn sonst noch wissen?«
Madeleine beugte sich vor und sah ihre Patientin ernst an. »Hören Sie. Falls Ihnen das Sorgen macht: Eine Therapie unterliegt der absoluten Schweigepflicht. Sie haben mir von Ihrer Beziehung zu Anton und seiner Drohung erzählt, Ihnen Sascha wegzunehmen; außerdem von der Tatsache, dass Sie glauben, sich nicht an die Polizei wenden zu können. Für mich zumindest hört sich das ausgesprochen Furcht erregend an.«
»Ach ja?«
Madeleine hätte am liebsten vor Verzweiflung den Kopf geschüttelt, bremste sich aber. »Möchten Sie mir sagen, wie sich diese Situation für Sie anfühlt?«
»Darf ich rauchen?«
»Hier drinnen? Ich fürchte, nein.«
»Bloß ein paar Züge … Ich lehne mich dabei auch aus dem Fenster.«
»Nein. Das Fenster lässt sich nur einen schmalen Spaltbreit öffnen.«
Rachels Kiefer arbeitete ärgerlich, und sie bewegte die Hände im Schoß, als griffen sie nach der Zigarette, die sie nicht rauchen durfte. Madeleine war regelrecht beeindruckt, hier handelte es sich um eine echte Sucht. Oder war es ein Ablenkungsmanöver, damit sie nicht über ihre Angst reden musste? Vielleicht war sie noch nicht bereit dafür.
»Wie alt sind Sie, Rachel?«
»Warum müssen Sie das wissen?«
Madeleine zuckte mit den Schultern. »Es interessiert mich.«
»Natürlich. Wie dumm von mir! Sie werden schließlich für Ihr Interesse bezahlt. Ich bin dreiunddreißig.«
Die Sitzung ging mit zuweilen fast zänkischen Wortgefechten weiter. So sehr sich Madeleine anstrengte zu verstehen, warum diese Frau überhaupt bei ihr war, immer wieder entzog sie sich ihr und reagierte auf eine vernünftige Frage mit einer abwehrenden oder sarkastischen Antwort. Fast schien es, als wolle sie Madeleine dazu bringen, sie rauszuwerfen.
Schon bald würde die Zeit verstrichen sein, und sie war nicht über ein paar Hintergrundinformationen hinausgekommen. Madeleine informierte sie, dass ihnen nur noch fünf Minuten blieben. Als Rachel nichts mehr sagte, ergriff Madeleine das Wort. »Um eine Frage aufzugreifen, die Sie vorhin gestellt haben: Ob ich glaube, dass ich Ihnen helfen kann? Wenn Sie die Therapie fortsetzen wollen, müssen wir sehen, was sich erreichen lässt. Anton können wir nicht ändern, und an seinen Drohungen können wir auch nichts ändern, aber wir können sicher den Ursachen dafür auf den Grund gehen, warum Sie immer wieder zu ihm
Weitere Kostenlose Bücher