Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
dergleichen gewöhnt. Was war von sexuell frustrierten Mördern, Sexualstraftätern und Pädophilen schon anderes zu erwarten?
Edmund Furie wartete auf sie. Er hatte den Kerl gehört und verzog böse das Gesicht. Auf seiner Stirn prangte eine große Beule.
»Was ist mit Ihrem Kopf passiert, Edmund?«
»Ich habe mir ein paar Leute wie das Arschloch vorgeknöpft, das Sie eben angepöbelt hat. Wenn Sie finden, dass meine Stirn übel zugerichtet ist, dann sollten Sie sich mal deren Köpfe ansehen. Ich habe einen von ihnen mit einer satten Hirnverletzung ins Krankenhaus gebracht.«
»Sie vergessen, dass Sie versprochen haben, in meiner Gegenwart keine Schimpfworte zu verwenden.«
Edmund wirkte gefährlich erregt. »Was sind wir heute mal wieder beschissen moralisch«, meinte er bissig.
Madeleine war müde und nicht auf der Hut gewesen. Man musste bei Edmund vorsichtig sein, aber trotzdem war er ein armer Kerl. »Erinnern Sie sich daran, dass Sie derjenige waren, der auf dem verdammten Versprechen bestanden hat«, beschwichtigte sie ihn mit einem Lächeln.
Daraufhin lachte er und zeigte seine Haifischzähne. »Sie haben ja recht, Madeleine. Aber wenn Sie das Stück Scheiße noch mal anpöbelt, bring ich ihn um.«
»Stecken Sie nicht schon in genug Schwierigkeiten … weil Sie Leute getötet haben?«
Schweigend sahen sie sich eine Weile lang an. Es war ihr rausgerutscht. Madeleine erwähnte seine Verbrechen nicht; es war besser so. Sie wollte nicht in die Rolle des Beichtvaters geraten, die sie schon oft genug in der Praxis übernahm. Dies war als lockere Freundschaft gedacht, die ein wenig Licht in die Monotonie und Langeweile der lebenslangen Haft Edmunds bringen sollte. Doch in mancher Hinsicht kam sie auch um ihrer selbst willen hierher. Niemand tut etwas einfach nur so. Sie redete sich ein, dass sie auf diese Weise ihre eigene Strafe verbüßte, doch sie hatte den Verdacht, dass auch die Gefahr sie reizte; dass irgendeine dunkle Seite in ihr in diesen schrecklichen Gefängnismauern Nahrung fand.
Von ihren trüben Motiven einmal abgesehen, gab es noch die strenge Offenheit, von der ihr Verhältnis zu Edmund geprägt war und die eine reinigende Wirkung auf sie hatte, wenn sie am Wochenende mal wieder durcheinander war. Er und Rachel schienen die einzigen »echten« Menschen zu sein, mit denen sie im Moment zu tun hatte. Im Vergleich zu den abgehobenen Sorgen ihrer übrigen Patienten war die raue Realität des Lebens dieser beiden für sie paradoxerweise fast eine Erleichterung.
»Mir hat unser Treffen vergangene Woche gefehlt«, sagte sie und meinte es ehrlich. »Ich habe gehört, dass Sie ziemlich krank waren.«
»Ich glaube nicht an Krankheit«, entgegnete Edmund barsch. »Es ist eine Schwäche.«
»Ia? Dürfen wir ab und zu nicht ruhig mal schwach sein, Edmund?«
»Das meinen aber auch nur Sie«, fuhr er sie an. »Meine Krankheit ist nicht von innen gekommen, da bin ich mir sicher. Kaum habe ich mich gewehrt, hatte sie die Macht über mich verloren.«
Ein eisiger Schauer überlief Madeleine. »Nicht von innen?«, wiederholte sie. »Glauben Sie denn, dass jemand Sie vergiften wollte … hier im Gefängnis?«
»Wer weiß, meine Schöne«, antwortete er vage.
In ihrer Vorstellung sah sie ihre Mutter an ihrem Altar, Edmunds Brosche in einer Schüssel vor sich. Unwillkürlich hob sie die Hand an ihr linkes Revers. Edmund bemerkte es.
»Sie tragen die Brosche noch immer nicht.«
»Nein.« Sie sah ihn an. »Es tut mir leid. Ich scheine sie verloren zu haben. Sie muss aus meiner Tasche gerutscht sein.«
Ungläubig sah er sie an. »Ein freudscher Rutscher, was?«
»Nein, Edmund«, verteidigte sie sich. »Warum sollte ich Sie anlügen?«
Es war die verdammte Wahrheit. Aber wo war die Brosche? In wessen Besitz befand sie sich jetzt?
»Wechseln wir das Thema«, schlug Edmund vor, als er ihre Beunruhigung bemerkte. »Erzählen Sie mir von irgendeinem Patienten. Ich will einfach nur Ihrer wunderbaren, farbigen Stimme lauschen. Ich träume von Ihrer Stimme.«
»Gut«, sagte sie erleichtert. »Sie werden die Geschichte interessant finden, Edmund, weil Sie selbst ein wenig von dem Problem betroffen sind. Ich habe einen neuen Patienten, der seine Nächte größtenteils damit verbringt, zwischen seinem Zuhause und seinem Arbeitsplatz hin und her zu fahren, weil er davon überzeugt ist, dass er ein Kind auf einem Fahrrad oder eine alte Dame beim Überqueren der Straße überfahren hat. Jedes Mal, wenn er die Fahrt
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