Erbspione vogelfrei
gemeinhin von Anarchistengruppen zu machen pflegt. Sie waren nicht gewalttätig, benahmen sich wie zivilisierte Menschen und besaßen fast ausnahmslos eine überdurchschnittlich gute Bildung. Viele unter ihnen hatten Hochschuldiplome erworben.
Wie paßte das mit der verrufenen Mordorganisation der Tombaal zusammen?
Die Lösung der Frage wäre überhaupt nicht problematisch gewesen, wenn wir nur einmal eine Gedankenspionage hätten durchführen können.
In dem Labyrinth schien es aber keinen Menschen zu geben, der nicht Tag und Nacht einen Antitron-Helm getragen hätte, der jeden Versuch scheitern ließ.
Wir kamen nicht an das Geistesgut der über tausend Menschen heran. Unsere beste und schärfste Einsatzwaffe war infolgedessen stumpf geworden.
Der Nubier, Professor Barghe Nohrm, war ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle. Die anderen ihm nahestehenden Afrikaner benahmen sich nicht weniger korrekt. Viele anwesende Europäer, Amerikaner und Asiaten zeigten eine zuversichtliche Heiterkeit, die mich an meiner Aufgabe noch mehr zweifeln ließ als zuvor.
Wenn diese Menschen für den Terror auf Mond und Mars verantwortlich waren, dann wollte ich all meine Erfahrungen als langjähriger GWA-Schatten über Bord werfen.
Zu diesen Tatsachen kam etwas hinzu, was mir allmählich peinlich wurde!
Hannibal und ich, die planmäßig zu Banditen abgestempelten Experten über die marsianische Hinterlassenschaften, wurden mit einer Zurückhaltung behandelt, aus der wir eindeutig eine gewisse Verachtung herauslesen konnten. Einige Mitglieder der Tombaal-Organisation gingen sogar so weit, sich sehr höflich aber klar von uns zu distanzieren. Man wollte mit den Massenmördern, die wir infolge unserer angeblichen ZONTA-Programmierungen zu sein hatten, nichts zu tun haben.
Man duldete uns, doch das war auch alles!
Ich hatte angenommen, mit charakterlosen Verbrechertypen verhandeln zu müssen. Nichts von dem war der Fall. Man bot uns keine schmutzigen Geschäfte an und grinste auch nicht mit einem bezeichnenden Augenzwinkern über Dinge, die anständige Menschen entsetzen mußten.
Was war also mit dieser Geheimorganisation los? Was wurde hier gespielt? Die Leute waren bestimmt keine Gewalttäter und über Leichen gehende Anarchisten.
Unseren ehemaligen GWA-Kollegen sah ich inzwischen mit anderen Augen an. Er schien sich hier wohlzufühlen. Er sorgte für Ordnung, sprach bei irgendwelchen Vergehen, die meistens geringfügig und alkoholbedingt waren, gerechte Strafen aus; aber an ein »eiskaltes Erschießen« dachte er nicht im Traum.
Auf uns hatte er nur deshalb das Feuer eröffnen lassen, weil er diesen einzigartigen Stützpunkt als extrem gefährdet ansah. In der Situation hatte er sich allerdings zu einer harten Maßnahme entschlossen.
Aber – und diese Frage legte ich mir bestürzt vor – hätte ich an seiner Stelle nicht ebenso gehandelt? Hätte ich nicht vielleicht auch zwei Menschheitsfeinde – gebrandmarkte Erbspionage-Verbrecher – erschießen lassen, ehe durch ihren Starrsinn alles in Gefahr geraten wäre? Wahrscheinlich hätte ich keine andere Entscheidung getroffen.
Das war die Situation knapp zwei Tage nach unserer Ankunft. Wir schrieben den 8. September 2010.
Die Luftraumüberwachung lief immer noch auf vollen Touren. Reling mußte den kostspieligen Unsinn wahrscheinlich aufrechterhalten, damit er unauffällig Gelegenheit fand, die in die engere Wahl einbezogenen Landgebiete ständig überwachen zu können.
Hannibal und ich waren um keinen Schritt weitergekommen.
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