Erdbeermond: Roman (German Edition)
Keller.
Sie: Helen Keller? Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Sind wir uns schon einmal begegnet?
Ich: Nicht dass ich wüsste.
Sie: Ich bin Tessie O’Grady.
Herr im Himmel! Hätte mich fast verschluckt. Dies war die berühmte Tessie O’Grady, die gefährlichste Frau der Verbrecherwelt Dublins? Hieß das etwa, Racey O’Grady wohnte mit seiner Mutter zusammen?
Hatte mich schnell wieder im Griff. Nicht gut, wenn man Schwäche zeigt.
Ich: Vielen Dank, dass ich ihr Tö benutzen durfte, Tessie. Das ist sehr christlich von Ihnen.
(Die Alten mögen es, wenn man sie christlich nennt.)
Ich: Sie sind wie der heilige Paulus auf der Straße nach Damaskus, der unserem Herrn half, den brennenden Busch zu löschen, bevor die ganze Bibel abgebrannt wäre.
Sie: Gern geschehen. Nehmen Sie doch noch einen Keks für die Fahrt.
Sie las die Beschreibung auf der Keksdose: Mögen Sie Orangenfüllung?
Ich: Nein, die mag keiner.
Sie: Minzfüllung?
Ich: Gern.
Sie steckte mir zwei Kekse mit Minzfüllung in die Jackentasche, klopfte darauf und hätte fast Waffe bemerkt, kam dann mit mir durch den Flur. Durch offen stehende Tür sah ich Racey und Detta! Nebeneinander auf dem Sofa, Tee trinkend, Kekse essend (dieselben guten wie in der Küche, nach meinem flüchtigen Blick zu urteilen), guckten sie Some Mothers Do ’Ave ’Em . Abartig. (Auf Kabel gibt es Wiederholungen.)
An der Tür dankte ich Tessie noch einmal, und als ich zum Tor ging, rief sie hinter mir her, mit erstaunlich lauter Stimme: Passen Sie auf sich auf. Da hatte ich wieder dieses Gefühl. Das Gefühl: Wenn ich Angst spüren könnte, dann hätte ich jetzt Angst.
Ich sah mich um. Tessie stand noch in der erleuchteten Halle, und als sich das Hoflicht in ihren Brillengläsern spiegelte, musste ich an Josef Mengele denken.
Am Ende der Ausfahrt ging ich durch das Tor, das sich hinter mir zu schließen begann. Wartete bis zur letzten Sekunde, glitt wieder hinein und warf meinen Rucksack in den Spalt, um Lichtschranke zu unterbrechen, sodass mein Fluchtweg gesichert war. Raffiniert.
Ging über den Rasen zum Wohnzimmerfenster. Vorhänge zugezogen, aber in der Mitte nicht ganz geschlossen, sodass ich reingucken konnte. Detta und Racey sitzen Schulter an Schulter, trinken immer noch Tee, gucken immer noch Some Mothers Do ’Ave ’Em. Manche haben komischen Geschmack.
Machte ein paar Fotos, hörte hinter mir Geräusch: Knurren.
Drehte mich um: Hunde. Zwei. Große, stinkige, schwarze Tiere mit roten Augen und abartigem Geruch. Wie Claire mit Kater. Tessie muss sie zurückgepfiffen haben, als sie mich reinließ, aber weil ich jetzt »weg« war, bewachten sie wieder den Garten. Von allen Dingen im Leben, die ich hasse, hasse ich Hunde am allermeisten.
Sie knurrten leise, und sofort knurrte ich zurück. Da! Damit hatten sie nicht gerechnet, dumme, stinkige Viecher.
Ihr seid Hunde, sagte ich, aber ich habe eine Waffe. Guckt her.
Nahm langsam Pistole aus dem Schulterhalfter und hielt sie ihnen hin. Eine Pistole, sagte ich. Sehr gefährlich. Ihr habt so was bestimmt schon mal im Fernsehen gesehen. Ich habe geübt, in einem Bunker mit seltsamen paramilitärischen Typen. Ich schieße auf euch und töte euch. Verstanden? Jetzt gehe ich langsam zurück und richte die Pistole auf euch, und ihr bleibt, wo ihr seid, verwirrt, aber folgsam.
Das taten sie auch. Ich fuchtelte immer wieder mit der Pistole vor ihren Nasen herum und sagte: Pistole. Damit bringe ich euch um. Sehr gefährlich.
Ging rückwärts über den endlosen Rasen, war schon fast am Tor. Dann machte ich einen Fehler: Ich fing an zu rennen. Die Hunde auch. Hey!, haben sie gedacht, sie hat also doch Angst. Jetzt schnappen wir sie uns.
Sie bellten wie verrückt und rannten über den Rasen und waren schon fast bei mir, als ich feststellte, dass sich das Tor trotz Rucksack geschlossen und den ganzen Inhalt zerteilt hatte: Mascara, Lipgloss (habe ich später gemerkt). Ich rüttelte am Tor, hoffte, dass es nicht ganz zu war, sonst wäre ich den Hunden ausgeliefert.
Einer von ihnen erwischte mich. Hat mir den halben Arsch weggerissen. Tor ließ sich etwas auseinander ziehen – der arme zerteilte Rucksack hatte verhindert, dass das Schloss einrastete –, quetschte mich durch, zog Tor hinter mir zu, bis es klickte.
Hinter dem Gitter bellten die Hunde die ganze Zeit.
Ich schrie sie an: Welcher von euch hat mich gebissen?
Keiner gab es zu, wollte also beide totschießen, aber hatte schon genug Ärger, deshalb fand ich,
Weitere Kostenlose Bücher