Erdbeermond: Roman (German Edition)
er schafft es nicht.«
Mir blieb der Mund offen stehen. Was meinte er? Vor einer halben Stunde waren wir auf dem Weg in ein Restaurant gewesen. Und jetzt sagte mir dieser sonnengebräunte Mann, dass Aidan es »nicht schaffen« würde?
Und er schaffte es nicht. Er starb, kaum zehn Minuten später.
Inzwischen hatten die Schmerzen eingesetzt – in meiner Hand, meinem Arm, meinem Gesicht. Ich war in einem solchen Nebel von Schmerzen, dass ich kaum meinen Namen wusste, und zu verstehen, dass Aidan tot war, war so, als sollte ich mir eine völlig neue Farbe vorstellen. Rachel kam mit Luke. Jemand musste ihr Bescheid gesagt haben, aber als ich sie sah, dachte ich, sie hätten auch einen Unfall gehabt – warum sollten sie sonst im Krankenhaus sein? – und wunderte mich über diesen Zufall. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt wurden mir Schmerzmittel gegeben, wahrscheinlich Morphium, und dann fragte ich nach dem Fahrer, nach dem, der uns gerammt hatte.
Er hieß Elin. Er hatte sich beide Arme gebrochen, war aber ansonsten unverletzt. Alle behaupteten fest, dass der Unfall nicht seine Schuld war. Es gab haufenweise Zeugen, die alle bestätigten, dass er »keine andere Wahl« gehabt hätte, als auszuweichen, weil er sonst die Frau umgefahren hätte, und es war einfach unser verdammtes Pech, dass da die Öllache auf der Straße war.
Ich war zwei Tage im Krankenhaus und erinnere mich nur an eine endlose Prozession von Menschen. Aidans Eltern und Kevin kamen aus Boston. Mum, Dad, Helen und Maggie kamen aus Irland. Dana und Leon – der so heftig weinte, dass er auch ein Beruhigungsmittel bekam –, Jacqui, Rachel, Luke, Ornesto, Teenie, Franklin, Marty, Aidans Arbeitskollegen und zwei Polizisten, die meine Aussage protokollierten. Auch Elin, der Fahrer, kam. Er zitterte und weinte, seine beiden Arme waren in Gips, und er saß neben meinem Bett und entschuldigte sich immer und immer wieder. Ich konnte diesen Mann nicht hassen – er würde für den Rest seines Lebens von Alpträumen gequält werden, und wahrscheinlich würde er nie wieder Taxi fahren. Aber dass ich Mitleid mit Elin hatte, machte die Sache verwirrend: Wem konnte ich die Schuld an Aidans Tod geben?
Dann saßen wir im Flugzeug nach Boston, dann waren wir bei der Beerdigung, die wie unsere Hochzeit war, nur eine Alptraumversion davon. Als ich im Rollstuhl in die Kirche geschoben wurde und lauter Leute sah, die ich seit langer Zeit nicht gesehen hatte, war es wie ein Traum, in dem eine bunte Mischung von Menschen aus unerklärlichen Gründen zusammengewürfelt wurde.
Dann saß ich im Flugzeug, dann war ich in Irland und schlief im Wohnzimmer, dann war ich wieder in New York, und erst jetzt hatte ich begriffen, was passiert war.
Teil Zwei
EINS
Auszug aus Never Coming Back von Dorothea K. Franklin
… Ungefähr eine Woche nach dem Tod meines Mannes saß ich in meinem Wintergarten und blätterte im National Enquirer – die einzige Lektüre, auf die ich mich konzentrieren konnte –, als durch das geöffnete Fenster ein Schmetterling hereinf log. Er war unübertrefflich schön und hatte ein feines Muster in den Farben Rot, Blau und Weiß. Ich sah staunend zu, wie er durch das Zimmer flatterte, sich auf der Stereoanlage niederließ, dann auf einer Topfpflanze – als wollte er mich daran erinnern, sie zu gießen! – und auf dem alten Sessel, in dem mein Mann immer gesessen hatte. Dann flog er auf meine Zeitschrift, sank schwer darauf nieder – als wollte er sagen: »Aber, aber, Dorothea!« (Interessant, denn mein verstorbener Mann hatte es nie erlaubt, dass wir diese Zeitschrift im Haus hatten.)
Im Fernsehen lief As the World Turns , und der Schmetterling schwebte jetzt über der Fernbedienung. Er schien mir etwas mitteilen zu wollen – wollte er, dass ich umschaltete? »Also gut, mein Freund«, sagte ich, »versuchen wir es.«
Ich zappte durch die verschiedenen Programme, und als ich zu Fox Sport kam, landete das schöne Geschöpf auf meiner Hand, als wollte es mir bedeuten, hier anzuhalten. Dann saß der Schmetterling eine gute halbe Stunde lang auf meiner Schulter und sah sich die US Open an. Das Zimmer war von einem tiefen, tiefen Frieden erfüllt. Als Ernie Els drei unter Par spielte, regte sich der Schmetterling, flog zum Fenster, verweilte einen kurzen Moment, als wollte er sich verabschieden, und flog dann in die weite Welt hinaus. Ich hatte keinen Zweifel, dass dies ein Besuch von meinem verstorbenen Mann war. Er hatte mir gesagt, dass er bei mir war,
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