Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
bemühte sich um ein Lächeln, aber der Ekel war ihr deutlich anzusehen. Eine Weile unterhielt ich mich mit einer Gruppe junger Männer über alte Pick-ups und die Optimierung der Ladeflächen. Aber unter all den Menschen ist mir bei der familiären Stimmung gar nicht aufgefallen, dass hier Gäste im Sinne von reisenden Fremden oder Freunden wären.
Während Hu ununterbrochen bei Liam war, ist Mere über das gesamte Gelände gestromert wie eine nie ganz festzumachende Veränderung in einem Suchbild. Arne hat die ganze Zeit neben mir gesessen und jedem den Platz zwischen uns verweigert.
»So, die Pflicht ruft«, sagt er nun und zwinkert mir vergnügt zu. »Hältst du mir den Platz frei?«
Mir ist kalt auf der Seite, an der Arne eben noch war. Erst jetzt wird mir klar, wie dicht wir zusammengesessen haben. Ich merke, dass ich rot werde, und halte nach Mere Ausschau. Sie geht gerade in das Versammlungshaus, auf das auch Arne zuhält. Deutsche Schlachtplatte. Zwei Deutsche nach Eifersuchtsdrama im Erdofen gelandet. Kulturell gesehen gar nicht so abwegig. Ich seufze, trinke mein Bier und warte ab.
Ein Schrei. Durchdringend. Aggressiv. Dann Stille.
Das Versammlungshaus öffnet seine Tür und spuckt zehn Männer und vier Frauen aus. Die Frauen bleiben auf der Veranda stehen, die Männer stellen sich davor. Ihre Gesichter sind traditionell tätowiert. Die Männer komplett, die Frauen nur am Kinn. Ich erkenne Hohepa an seiner Statur, und mir wird klar, dass auch Arne und Mere unter den anderen sind. Also keine Tätowierung, nur Farbe. Hohepa schreit vor, die Männer schreien nach. Sie gehen leicht in die Hocke und zeigen unter fellartigen Lendenschurzen Bein und Po. Die vier Männer in der ersten Reihe haben nicht nur ein Moko an Schulter, Brust und Oberarmen, sondern auch eines von der Taille bis zum Knie.
Sie schlagen ihre Hände auf die Oberschenkel. Selbst in der Dämmerung unter Fackelschein sieht man, wie sich jeder Handabdruck scharf rot abbildet.
Zu den lauten Schreien der Männer gesellen sich nun die hohen Stimmen der Frauen. Kein Wunder, dass man hier gerne über größere Distanzen schreit. Das ist Training. Mit der Zeit erkenne ich, dass es sich nicht um irgendwelche unartikulierten Laute, sondern um ganze Sätze in Māori handelt.
Die Bewegungen sind zackig und aggressiv. Oft so, als würden die Männer ihre Wut nur schwer unterdrücken können. Sie machen weitgehend die gleichen Bewegungen, aber doch jeder individuell genug, dass es die Gefahr, die von der Unberechenbarkeit des Individuums für die Gruppe ausgeht, deutlich widerspiegelt. Es ist laut und beängstigend. Wenn sie einen stampfenden Schritt auf uns zu machen, zucke ich zurück, obwohl ich weiß, dass das nur Show ist. Mein Körper lässt sich viel eher darauf ein als mein Verstand. Meine Füße stampfen, und mein Oberkörper geht auf der Bank mit. Vielleicht ist es die Schwingung des Schalls, aber jeder einzelne Schlag auf die Oberschenkel und die Unterarme der Männer verwandelt sich an meinem Körper in gebündelte Kraft. Ich merke, wie meine Stirn sich zusammenzieht oder sich meine Augen aufreißen, wenn die Tänzer das machen. Allein beim Herausstrecken der Zunge kann ich meinen Körper gerade noch so zügeln. Ich lasse mich mehr und mehr von dem stampfenden aggressiven Rhythmus Hohepas und seiner Krieger mitreißen, die Lautstärke und die zwei Tonhöhen ziehen mich in den Bann. Ich zeige der Welt die Zähne. Ohne Lächeln.
»Don’t be ashamed. I’ve been seeing that my whole life and I’m still touched. It has a completely unique power.«
Verwundert schaue ich die ältere Māori-Dame an und frage mich, wovon sie redet. Bei einem Windhauch merke ich, dass mein Gesicht feucht ist. Sie hat recht. Ich habe diese Kraft gespürt.
»Du bist ja richtig mitgegangen«, sagt Arne, als er und seine Frau zurückkommen. Mere lächelt mich an, legt mir die Hand auf den Rücken. Bevor sie wieder an einen anderen Tisch verschwindet, sagt sie: »I liked how you liked it.«
Arne quetscht sich zwischen mich und die ältere Dame.
»Du bist da noch tätowiert«, sage ich und meine einen kurzen breiten Strich auf der Wange.
Arne schiebt seinen T-Shirt-Ärmel hoch und reibt grinsend an dem erhabenen Moko. »Das geht nicht mehr ab.«
Ich nutze die Gelegenheit und tue etwas, das ich schon länger machen möchte: Ich streiche mit der flachen Hand kurz über die Tätowierung. Kaum zu fassen, wie sexy schwarze Narben auf mich wirken. Ich schaffe es zu
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