Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser
herschimpften; wie sie mit ihrem Vater stritt, weil sie endlose Rätsel lernen mußte, während die Sommersonne wie eine goldene Scheibe auf den Steinen zu ihren Füßen lag.
Die Frau hielt sich lange bei ihrer Beziehung zu der Schweinehirtin auf, beschäftigte sich eingehend mit den kleinen Zauberstücken, die die Schweinehirtin sie gelehrt hatte; auch die Pläne, die Mathom zu ihrer Heirat gemacht hatte, schienen die Frau zu faszinieren, ebenso der unerschütterliche Starrsinn, mit der er allen Widerreden von Seiten der Edlen von An, Duacs, Cyones, Rendels selbst, als diese begriff, was er getan hatte, die Stirn bot. Ein finsterer, altersmüder Turm in Aum tauchte ungebeten vor ihr auf, ein einsamer Schatten in einem Eichenwald. An dieser Stelle gab die Frau sie frei, und zum erstenmal spürte Rendel, daß sie überrascht war.
»Ihr wart dort. Bei Pevens Turm.«
Rendel nickte. Das Feuer war zu glühender Asche zusammengesunken; sie zitterte so sehr vor Müdigkeit wie vor Kälte.
Die Frau schien, einem Nachtschmetterling ähnlich, am Rande des schwachen Lichtkreises zu schweben. Sie blickte auf das Feuer und es loderte auf, schlank und weiß, hob das ruhige, zarte Gesicht wieder aus der Dunkelheit.
»Ich mußte. Ich mußte wissen, welchen Preis mein Vater auf meinen Namen gesetzt hatte, noch ehe ich geboren war. Deshalb ging ich hin. Hineingehen konnte ich aber nicht. Es war vor langer Zeit; ich hatte Angst.« Sie schüttelte leicht den Kopf, um ihre Gedanken aus der Erinnerung zu reißen. Über das seltsam brennende Feuer hinweg blickte sie auf die Frau; die weiße Flamme züngelte und brannte in den Tiefen der stillen Augen. »Wer seid Ihr? Etwas in mir kennt Euch.«
»Ylon.« Die Flamme schien zu lächeln. »Wir sind Verwandte, Ihr und ich.«
»Ich weiß.« Ihre Stimme klang spröde, hohl; der hämmernde Schlag ihres Herzens schien ihre Brust auszuhöhlen. »Ihr habt viele Verwandte in der Linie der Könige von An. Aber was seid Ihr?«
Die Frau setzte sich neben der Feuerstelle nieder; mit einer Geste, die zugleich schön und kindlich war, hob sie eine Hand zu der Flamme.
Dann sagte sie: »Ich bin ein Gestaltwandler. Ich tötete Eriel Ymris und nahm ihre Gestalt an. Ich blendete Astrin Ymris auf einem Auge. Ich war nahe daran, den Sternenträger zu töten, wenn es auch nicht sein Tod war, an dem mir lag. Damals nicht. Und mir liegt auch nicht an dem Euren, falls Ihr Euch das gefragt habt.«
»Ja, das habe ich mich gefragt«, flüsterte Rendel. »Was - was ist es dann, woran Euch liegt?«
»Mir geht es um die Lösung eines Rätsels.«
»Was für ein Rätsel?«
»Das werdet Ihr noch bald genug selbst sehen.« Sie schwieg, die Augen ins Feuer gerichtet, die Hände ruhig im Schoß. Erst als Rendels Augen ebenfalls zu den Flammen wanderten und sie hinter sich nach einem Sessel tastete, begann die Frau wieder zu sprechen.
»Es ist ein Rätsel, das so alt ist wie die Runzeln alter Baumwurzeln, wie die Stille, die die Eingeweide des Berges Isig erfüllt, wie die steinernen Gesichter der toten Kinder. Es ist so elementar wie Wind oder Feuer. Die Zeit hat für mich keine Bedeutung, nur der lange Augenblick, der zwischen der Frage und ihrer Lösung liegt. Auf dem Schiff damals hättet Ihr sie mir beinahe gegeben, doch es gelang Euch, das Band zwischen Euch und dem Stein zu zerreißen, obwohl Ihr unter meiner Macht ward. Das überraschte mich.«
»Ich tat es nicht - ich konnte es gar nicht zerreißen. Ich erinnere mich. Lyra schlug mich. Ihr - Ihr also wart in meinem Geist. Und das Rätsel: Ihr müßt diesem Gesicht einen Namen geben?«
»Ja.«
»Und dann - und dann was? Was wird dann geschehen?«
»Ihr versteht Euch selbst ein wenig auf die Kunst des Rätselratens. Weshalb sollte ich Euer Spiel für Euch spielen?«
»Es ist kein Spiel - Ihr spielt mit unserem Leben!«
»Eure Leben bedeuten mir nichts«, versetzte die Frau leidenschaftslos. »Der Sternenträger und ich suchen Antworten auf dieselben Fragen. Er tötet, wenn er muß; unsere Methoden sind nicht anders. Ich muß den Sternenträger finden. Er ist mächtig geworden und flüchtig wie Rauch. Ich dachte daran, Euch oder Tristan als Lockvogel zu nehmen, ihn zu fangen, aber eine Weile noch will ich ihn seinen eigenen Weg gehen lassen. Ich glaube, ich kann sehen, wohin er ihn führt.«
»Er will Thod töten«, sagte Rendel dumpf.
»Es wäre nicht der erste große Harfenspieler, den er getötet hat. Aber auch von Ghistleslohm darf er seine
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