Erebos
kommt, dann verarbeitet er den zu Mus. Weiter, weiter. Er hat noch jede Menge Zeit, sein Ziel zu erreichen, und er wird die anderen abhängen, nimmt er sich vor.
Dummerweise sehen hier die Gänge wieder alle gleich aus. Nichts deutet auf die Weiße Stadt hin. Er irrt weiter, begegnet niemandem, niemand greift ihn an. Nach endlos scheinender Zeit bleibt er stehen. Seine Wut ist zu einem kleinen glühenden Korn in seinem Inneren zusammengeschrumpft.
Was nun? Er könnte sich für seine Unüberlegtheit ohrfeigen. Warum hat er nicht wenigstens Arwen’s Child aufgefordert mitzukommen? Sie ist auf seiner Seite gewesen, er hätte sie nicht mit den anderen stehen lassen müssen. Dann könnte er jetzt Feuer machen. Dann wäre er jetzt nicht auf sich allein gestellt.
Einmal mehr versucht er, sich zu orientieren. Es muss einen Hinweis geben. Vielleicht weiße Steinchen an den richtigen Abzweigungen oder Glockengeläut jede volle Stunde. Er strengt seine Ohren an. Späht in jede Richtung. Lauscht angestrengt bei jeder Gabelung. Und da, bei der dritten Kreuzung hört er etwas, zwar keine Glocken, aber ein Rauschen. Ganz leise nur, doch es ist ein Anhaltspunkt. Etwas, dem man hinterhergehen kann.
Das Rauschen wird deutlicher, je länger Sarius ihm folgt. Seine Vorsicht hat er abgelegt, etwas sagt ihm, dass keine Gefahr droht. Einen Moment lang hält er inne, um sich klar darüber zu werden, woher er diese Sicherheit nimmt. Es ist die Musik, erkennt er. Sanft und unmerklich hat sie ihren Charakter geändert; sie gibt ihm Zuversicht und lässt keinen Zweifel daran, dass er auf dem richtigen Weg ist.
Wenige Minuten später entdeckt Sarius die Quelle des Rauschens: einen unterirdischen Fluss, dessen Wasser im spärlichen Licht der Fackeln fast schwarz wirkt, sich beim Näherkommen jedoch als blutrot erweist.
Unwillkürlich stellen sich scheußliche Bilder in Sarius’ Kopf ein: Schlachtfelder, zu großen Haufen aufgeschichtete Leichen, Opferrituale. Irgendwo muss das Blut schließlich herkommen.
Wenn es Blut ist! Das lässt sich so genau gar nicht sagen. Die Farbe des Wassers könnte mit den Steinen des Flussbetts zu tun haben oder … Ist ja auch egal. Trinken wird Sarius jedenfalls nicht davon, auch wenn ihm eine Stärkung gerade ganz guttäte.
Er stellt sich an den steinernen Rand, direkt ans Wasser, das geregelt und kerzengerade wie durch einen Kanal läuft. Städte werden oft an Flüssen gebaut, also wird er diesem hier wie einem roten Faden folgen. Aber: flussauf- oder flussabwärts? Er untersucht die Umgebung auf Hinweise, findet keine und beschließt, flussaufwärts zu gehen.
Schon nach kurzer Zeit wird es heller – Feuerkörbe am Flussrand beleuchten den Weg in regelmäßigen Abständen. Mit einem Mal ist es ein Kinderspiel. Sarius läuft, läuft schneller, als er eine breite Treppe entdeckt, die aufwärtsführt, muss aber knapp davor stehen bleiben, weil er nicht auf seine Ausdauer geachtet hat. Er kommt wieder zu Atem und beginnt den Aufstieg, die Musik um ihn herum jubelt, Tageslicht strömt ihm entgegen.
Der Anblick, der sich ihm bietet, als er endlich oben ankommt, ist prachtvoll. Mauern, Türme und Bogengänge aus weißem Marmor liegen im Sonnenlicht, sogar die Straße, die zur Stadt führt, glänzt elfenbeinfarben.
Sarius hat es nicht mehr eilig. Die Stadt scheint nur auf ihn zu warten. Er saugt ihren Anblick in sich auf und schreitet langsam auf sie zu.
Die vier Wachen am Tor senken bei seinem Eintreffen grüßend ihre Lanzen, eine Fanfare ertönt und der schmerbäuchige Herold hoch oben auf der Stadtmauer verkündet die neueste Nachricht: »Sarius ist eingetroffen. Sarius, Ritter, zugehörig der Sippe der Dunkelelfen, betritt die Weiße Stadt.«
9.
»Möchtest du noch Reis?« Mum schwenkte unternehmungslustig den vollen Schöpflöffel über Nicks Teller.
»Nein danke.«
»Schmeckt es dir nicht? Du stocherst so komisch im Fleisch herum.«
Es fiel Nick schwer, sich auf die Worte seiner Mutter zu konzentrieren. Sarius hatte vorhin ein Zimmer in einer Schänke der Weißen Stadt bezogen und der dort zuständige Wirt hatte ihm drei Stunden Ruhe verordnet. Zack – Bildschirm schwarz, wieder einmal.
»Hör mal, deine Mutter hat dich etwas gefragt!«
»Ja, Dad, sorry. Nein, schmeckt sehr gut, ich bin nur ein bisschen müde.«
Sein Vater nahm einen Schluck aus dem Bierglas und runzelte die Stirn.
»Du hattest doch heute nicht mal Schule!«
»Nein, er hat Chemie gelernt«, sprang Mum hilfreich ein. »Sei
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