Erfindung der Violet Adams
nicht das, was sie erwartet hatte. Deshalb schlich sie sich an ihrem dritten Abend, dem Heiligen Abend, als sie es nicht länger ohne einen Drink aushielt, wieder in die Küche hinunter. Sie war keine Expertin im Schleichen – gewöhnlich war es ihre Aufgabe und ihre Gabe, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – , aber sie fand es nicht so schwer. Das Herrenhaus kam ihr nachts unheimlich vor, doch sie war auch im Dunkeln allein durch die Straßen von London gewandert. Wenn sie dort die Betrunkenen und Mörder überlebt hatte, würde sie mit Sicherheit auch alles überleben, was dieses Haus für sie bereithielt.
Die Küche war Gott sei Dank leer. Sie sah sich schnell um, suchte nach einer Flasche mit Hochprozentigem: idealerweise Scotch, aber alles andere war auch in Ordnung. Und dann hörte sie den Lärm. Sie kauerte sich gegen einen im Schatten liegenden Geschirrschrank und suchte den Raum mit den Augen ab. In der Küche bewegte sich nichts. Dann war das Geräusch wieder da: ein lautes Klirren aus dem Weinkeller, dann die Stimme einer Frau, gedämpft aber eindeutig wütend.
Fiona ging zur Kellertür und presste das Ohr dagegen, als die Geräusche anhielten. Na schön, hier oben gab es keinen Alkohol, demnach gab es möglicherweise dort unten welchen, wo die guten Familien ihn aufbewahrten. Was bedeutete, dass sie ohnehin dort hinunter musste, wenn sie einen Drink wollte. Dann konnte sie ebenso gut nachsehen, was das für ein Krach war. Langsam stieß sie die Tür auf. Sie knarrte leise, was jedoch von dem gleichförmigen frustrierten Klirren übertönt wurde. Sie schlich die Treppe hinunter, wie sie das auf der Bühne gelernt hatte: die Arme an den Seiten, die Beine fast rechtwinklig angewinkelt, während sie sie vorsichtig hob und leise wieder aufsetzte, nur um festzustellen, dass sie doch mehr Lärm machte als erwartet.
Am Fuß der Treppe gab es zwei Türen. Unter der einen, hinter der der Lärm zu hören war, schimmerte Licht. Fiona kam zu dem Schluss, dass die andere zum Weinkeller führen musste. Diese Tür öffnete sie zuerst. Es war ein großer Keller, wie sie vermutet hatte, doch er enthielt sehr viel mehr Wein und sehr viel weniger Scotch, als sie gehofft hatte, aber sie fand eine kleine Flasche mit etwas, das wie Scotch roch. Nach ein paar Schlucken schmeckte er auch wie Scotch, und das reichte ihr.
Nachdem sie die halbe Flasche ausgetrunken und eine weitere für später mitgenommen hatte, verließ sie den Kellerraum. Hinter der anderen Tür brannte noch immer Licht, und es waren noch immer Krach und Fluchen zu hören. Das Ohr an die Tür gepresst, erkannte sie Mrs Wilks´ Stimme. Mit dem sicheren Gefühl, etwas zu entdecken, das es ihr erlauben würde, so viel zu trinken wie sie wollte, stieß Fiona die Tür auf.
Mrs Wilks stand mitten in einem großen, Stein gefliesten Raum, hinter ihr brannte ein Feuer und vor ihr auf einem Tisch lagen diverse Getriebe und Metallteile. Sie trug ein einfaches Hauskleid, die Ärmel hochgekrempelt und die Hände voller Schmiere und Öl. Das Haar war zu einem straffen Knoten zurückgekämmt, und sie hatte eine riesige runde Brille auf, die viel zu groß für ihr Gesicht war.
»… Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, schimpfte sie, als sie ein Stück Metall auf den Tisch warf. Es gab ein schepperndes Geräusch von sich. Fiona lächelte und lehnte sich in den Türrahmen, während sie die Flasche mit Alkohol in der Hand schwang. Mrs Wilks blickte auf. »Scheiße«, sagte sie.
»N’wunderschönen guten Abend, Mrs Wilks«, meinte Fiona. Ihr schottischer Akzent war stärker, wenn sie getrunken hatte.
»Ich … «, begann Mrs Wilks. Dann schloss sich ihr Mund. Fiona sah, was sie in der Hand hielt – ein langes Rohr aus glatter Bronze mit einer abgerundeten Spitze an einem Ende und einer Reihe ineinandergreifender Getriebe am anderen, wie es schien. Ihr Blick wanderte zurück zu Mrs Wilks, die seufzte. »Nachdem Violet für die Ballsaison in die Stadt gefahren war, hatte ich vor, hier herunterzukommen und sauber zu machen«, erklärte sie. »Doch beim Saubermachen habe ich festgestellt … , dass es mir Spaß macht, Sachen zusammenzubauen. Es hat mir gefallen, wie die Getriebe sich ineinanderfügen und die Dinge zum Laufen bringen. Und da Violet nicht da war, dachte ich … dass es niemandem schadet, wenn ich mir einmal ansehe, womit sie so ihre Tage verbringt.«
Fiona wusste nicht ganz, wovon Mrs Wilks redete, doch sie hielt die Augen zusammengekniffen und sah sie
Weitere Kostenlose Bücher