Erfolg
staatlichen Sammlungen und hatte sich untertänig erklären lassen, für die Erforschung dieser Art Kunstwerke sei es erforderlich, darauf zu reiten.
Ja, es war merkwürdig, daß Johanna Krain es jetzt schon im vierten Jahr mit ihm aushielt. Er sah sie vor sich, das breite Gesicht mit der sehr gestrafften Haut, das bräunliche, eigensinnig gegen die Mode geknotete Haar, die dunkeln Brauen über den großen, grauen, unvorsichtigen Augen. Es war merkwürdig, daß sie ihn so lange in ihrer klaren Luft aushalten konnte. Man brauchte nicht die starke, gerade Johanna Krain zu sein, um schon aus seinem Verhalten in der Sache um »Josef und seine Brüder« zu erkennen, wie bequem und verwaschen seine Praxis war. Ja, so war er, mit ungeheurem Elan auf eine Sache losstürmend; wenn es aber darum ging, auszuhalten, auf längere Zeit seinen Mann zu stehen, dann, auf verschwommene, kompromißlerische Art, drückte er sich. Unvermittelt überkam ihn heftige Lust, Johanna zu sehen. Er hatte ihr kräftiges, breites Gesicht im Gerichtssaal gesucht unter vielen Gesichtern. Vergeblich. Wahrscheinlich hat nur dieser widerwärtige Dr. Geyer aus irgendwelchen kniffligen, juristischen Motiven verhindert, daß sie da war. Dabei sollte sie doch gar nicht aussagen. Er will nicht, daß sie aussagt. Er hat das dem Anwalt schon zwei- oder dreimal gesagt. Er will nicht, daß Johanna in diese schmutzige Angelegenheit gemengt wird, aus der jeder nur bedreckt herauskommt.
Aber der Mann in Zelle 134 konnte nicht verhindern, daßer sich immer wieder mit rascher Phantasie ausmalte, wie das sein wird, wenn Johanna mit ihrer unbekümmerten Stimme für ihn Zeugnis ablegt. Es wäre eine verdammt bittere Enttäuschung, wenn der Dr. Geyer wirklich auf ihn hört und auf Johanna Krain verzichtet. Großartig wird das, wenn Johanna den blöden Burschen die Meinung sagt. Wenn der Prozeß in sein albernes Nichts zusammenschrumpft. Wenn sie dann alle kommen, sich zu entschuldigen. Der Minister Flaucher voran, der trübe Quadratschädel. Oh, er, Krüger, wird dann keine große Geschichte daraus machen. Ganz unpathetisch, mit einem kleinen Schmunzeln, fast herzlich wird er die reuige Hand des alten Esels nehmen, froh, daß man ihm fortan wohl oder übel in seinem Amt größere Unabhängigkeit wird einräumen müssen.
Auf alle Fälle ist es ein Jammer, daß er in diesen Tagen Johanna nicht zu Gesicht kriegt. Der vorsichtige, immer viel zu opportunistische Dr. Geyer glaubt, es werde den Effekt ihrer Aussage abschwächen, wenn sich herausstellt, daß sie in diesen Tagen viel mit ihm zusammen war. Die Stärkung, die ihm, dem Manne Krüger, aus einem Zusammensein mit Johanna zufließen würde, kam natürlich nicht in Frage. Fast gehässig dachte der Mann Krüger an die hellen, spürenden, dickbebrillten Augen des Anwalts.
Aber daß Johanna so lang und so dicht zu ihm hält, ist eine große Bestätigung. Ja, er hat einmal versagt. Aber jetzt hat er sich wieder zusammengerissen, er wird seinen Wagen flottkriegen. Er muß nur erst aus dieser tristen Geschichte heraus sein. Dann wird er, und sei es im tiefsten Sibirien, das Bild »Josef und seine Brüder« wieder auftreiben, wird, was wichtiger ist, den Maler Landholzer aufstöbern. Wird suchen, zäh, fanatisch, zusammen mit dem jungen Kaspar Pröckl. Mit seiner früheren verfluchten Kaulquappenmanier jedenfalls wird er ein für allemal Schluß machen.
Wieder die Schritte des Wächters. Neun Schritte laut, neun Schritte leiser, dann hört man ihn nicht mehr. Aber unter solchen Gedanken kratzte ihn die Decke weniger, auch legte ersich unbesorgt wieder auf die linke Seite, ohne Furcht wegen seines Herzens. Seine natürliche Müdigkeit siegte über die Nervosität der Nacht und der Zelle, er schlief ein mit einem kleinen, zufriedenen Lächeln.
8
Rechtsanwalt Dr. Geyer stellt anheim
Der Rechtsanwalt Dr. Siegbert Geyer ließ sich auch an dem verhandlungsfreien Sonntag pünktlich um acht Uhr von seiner Haushälterin wecken. Über jede Stunde auch dieses Sonntags ist verfügt. Er muß die Zeugin Krain empfangen, er muß in der Tiroler Weinstube, die am Sonntagvormittag eine Art neutralen Klubs für die Politiker des kleinen Landes bildet, seine nicht übermäßig geschickten Parteifreunde vor Dummheiten behüten. Vor allem aber muß er sich mit seinem Manuskript beschäftigen »Geschichte des Unrechts im Lande Bayern vom Waffenstillstand 1918 bis zur Gegenwart«. Denn dieses Werk muß in Fluß bleiben. Er darf es nicht
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