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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Kilpi
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vorkommen, hat der Arzt gesagt. Auch in seinem Alter.«
    »Und wann ist es passiert?«
    »Vor knapp zwei Wochen. Sie wissen ja überhaupt nichts. Wozu war die Polizei denn damals hier, wenn Sie absolut nichts wissen?«
     

    Obduktion. Auf dem Schild wirkt dieses Wort merkwürdig klinisch, wissenschaftlich und nüchtern, dabei verbergen sich dahinter zahllose unterschiedliche Menschenschicksale. Olli schaudert, denn das Schild ist zugleich eine Erinnerung an die eigene Vergänglichkeit. Hier landet jeder von uns.
    »Zu Jaatinen«, sagt Tossavainen und zeigt der jungen Frau im weißen Kittel, die am Schalter sitzt, seine Dienstmarke.
    »Ja«, antwortet die lebensstrotzende, frisch wie ein Bergquell wirkende Frau. »Jaatinen ist oben.«
    Olli und Tossavainen gehen die Treppe hinauf. Die Frau schickt Olli ein Lächeln hinterher, das ihn überrascht und verlegen macht. Er weiß nicht, warum. Vielleicht liegt es einfach daran, dass er in dieser Umgebung kein strahlendes Gesicht erwartet hatte.
    »Wenn dir schwindlig wird, leg sofort den Kopf auf die Knie.«
    Bei Tossavainens geflüsterter Anweisung zuckt Olli zusammen.
    »Dann legst du dich auf den Rücken und wir heben deine Beine hoch. Hier hat sich schon mancher die Zähne ausgeschlagen, als er umgekippt ist.«
    Während sie weiter hinaufgehen, denkt Olli darüber nach, wie stereotyp seine Vorstellung von Leichenkammern bisher war. Er hatte geglaubt, dass sie sich im untersten Stock eines großen Krankenhauses befinden, mehrere Etagen unter der Erde, ohne Tageslicht. In den hintersten Winkeln eines komplizierten Netzes von Gängen, wo sie selbst der Pathologe nicht ohne Karte und GPS finden würde. Dabei stimmt das gar nicht. Sie gehen eine Etage nach oben. An der Längsseite des ersten Raums gibt es mehrere Fenster mit Blick auf Fichten und Kiefern. Alle Räume sind hoch, hell, sogar einladend. Ein seltsamer Ort.
    Die Gerüche sind eine andere Sache. Gleich hinter der ersten Tür empfängt sie ein stechender, atemberaubender und direkt ins Gehirn dringender Geruch, der verrät, dass vor Kurzem eine Obduktion begonnen hat. Dass die Präparatoren, die Assistenten des Rechtsmediziners, die Leiche geöffnet und die Schädeldecke aufgesägt haben. Der Geruch gesägter Knochen brennt einem noch lange in der Nase, nachdem man den Obduktionssaal verlassen hat.
    »Fast zu passend«, überlegt Tossavainen.
    »Der Herzinfarkt?«, fragt Olli.
    »Genau. Wenn Henry das richtige Opfer ist, stecken wir in der Scheiße.«
    »In der Scheiße?«, wundert sich Olli, der die Sache in einem ganz anderen Licht sieht.
    »In zwei Wochen kann er weit gekommen sein, und er hat garantiert nicht vor, sich schnappen zu lassen. Wenn Henry sein Opfer ist, haben wir das Spiel verloren.«
    »Wir sind viel zu spät dran«, erkennt nun auch Olli.
    »Sehr wahrscheinlich. Nein, bestimmt.«
    Als sie sich dem eigentlichen Obduktionssaal nähern, kriecht ihnen ein feuchter Gestank entgegen, eine Mischung aus Fäkalien und Eiter. Demnach ist das Gedärm gerade aus der Bauchhöhle des Toten gehoben und auf den Operationstisch gelegt worden. Die Männer spähen in den Saal.
    Der in Schutzkleidung gehüllte Rechtsmediziner Jaatinen steht über den Toten gebeugt und packt gerade dessen Gedärm, als er die Zuschauer bemerkt. »Nur immer herein, sagte der Teufel zum Bettler«, ruft er und zieht ruckartig, sodass die in der Bauchhöhle fest sitzenden Därme sich lösen.
    »Henry Weeman«, sagt Tossavainen.
    »Henry Weeman«, wiederholt Jaatinen. »Ein Bekannter von uns?«
    »Ja. Herzinfarkt, vor knapp zwei Wochen.«
    »Ach ja«, dämmert es Jaatinen. »Warum hast du das nicht gleich gesagt? Natürlich kenne ich Henry.«
     

    Jaatinen sitzt an seinem Schreibtisch, die Beine auf die Tischplatte gelegt, hält einen Ordner auf dem Schoß und betrachtet die Fuchsie, die in einer Ampel am Fenster hängt. Olli und Tossavainen sitzen auf der anderen Seite des Schreibtischs.
    »Also«, beginnt Jaatinen und wirft einen Blick auf seine Unterlagen. »Als er gefunden wurde, lag Henry auf dem Rücken auf dem Sofa, voll bekleidet, mit dem Kopf in Richtung Wand. Die ersten Leichenflecken hatten sich gebildet, waren aber wegzudrücken. Die Totenstarre konnte noch gebrochen werden, kehrte aber sofort zurück. Die Körpertemperatur war um etwa vier Grad gesunken. All das führt zu dem Resultat, dass Henry seit vier bis fünf Stunden tot war, als er gefunden wurde.«
    Jaatinen blickt auf. »Keine besonderen Befunde. Ein relativ

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