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Erfuellt

Erfuellt

Titel: Erfuellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbi Glines
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die fest in ein Bettlaken eingewickelt war, im Schaukelstuhl. Immer wenn Mom traurig war, sang sie dieser Puppe etwas vor.
    »Ja, mein lieber Junge schläft für Mom. So ist es brav.« Sie streichelte die Puppe und berührte ihr kaltes Plastikgesicht, als wäre es ein echtes Kind. Lange Zeit hatte ich das auch gedacht. Aber es gab nie einen Ton von sich, und manchmal vergaß sie es auch tagelang in dem Bettchen in ihrem Zimmer. Irgendwann begriff ich, dass es nur eine Puppe war.
    Und dann machte ich den Fehler, die Puppe selbst einmal hochzuheben und hin- und herzuwiegen. Mom war deswegen sehr wütend auf mich und sperrte mich drei Tage lang ohne Essen in mein Zimmer.
    »Mein süßes kleines Baby, Moms größte Freude. Ich werde dir ein paar schöne neue Spielsachen kaufen«, sang Mom ihren selbst ausgedachten Text. Sie erfand dieses Lied immer wieder neu, und ich war mir auch gar nicht sicher, ob sie den ursprünglichen Text überhaupt kannte und ob es eigentlich ein richtiges Lied war.
    Dann plötzlich packte sie die Puppe und schleuderte sie quer durchs Zimmer. »Du Dämonenkind!«, rief sie wieder und wieder und sprang auf. So schnell ich konnte, rannte ich zurück in mein Zimmer und betete, dass sie mir nicht nachlaufen würde.
    »Della?« Woods’ Stimme unterbrach meinen Traum, und ich schlug die Augen auf, sodass ich direkt in sein besorgtes Gesicht sah.
    »Ist alles okay? Du hast so schwer geatmet.«
    Das war alles? Ich musste lächeln. Scheinbar ging es mir wirklich gut. Mit den Erinnerungen konnte ich leben, solange keine richtige Panik mit im Spiel war.
    »Mir geht’s gut«, versicherte ich ihm und kuschelte mich an ihn. »Nur eine Erinnerung.«
    Woods fuhr mit seinen Fingern meinen Arm auf und ab.
    »Willst du sie mir erzählen? Wenn wir darüber sprechen, musst du vielleicht nicht immer davon träumen.«
    Erst wollte ich verneinen, hielt dann aber inne. Ich hatte jahrelang jedes Gespräch über meine Vergangenheit verweigert, weil ich sofort wieder ins Dunkel stürzte, wenn ich darüber nachdachte. Aber jetzt war ich stabiler. Was, wenn ich Woods von meinen Träumen erzählte? Und konnte das vielleicht tatsächlich helfen?
    »Okay«, sagte ich, ohne ihn anzusehen, und starrte stattdessen auf seine Brust. Ich hatte jetzt keine Angst mehr vor meiner Vergangenheit, aber dennoch wusste ich nicht, wie ich mich ihm so voll und ganz öffnen sollte. Danach würde ich mich verletzlicher denn je fühlen. Er würde meine schlimmsten Ängste kennen. Kein anderer wusste darüber Bescheid.
    Aber ja, es war an der Zeit.
    Woods hielt mich noch fester, und ich konzentrierte mich ganz auf die beruhigende Wärme seiner Arme. Hier war ich in Sicherheit. Wenn ich jetzt davon erzählte, konnte mir nichts passieren.
    »Sie hat die Babypuppe gewiegt. So wie immer, wenn sie ihre düsteren Phasen hatte. Hat der Puppe Lieder mit selbsterfundenen Texten vorgesungen. Obwohl ich erst fünf Jahre alt war, wusste ich, dass etwas nicht stimmte, wenn jemand einer Plastikpuppe etwas vorsang. Irgendetwas war nicht okay. Also habe ich sie beobachtet. Mich hat sie nie so im Arm gehalten, also hat mich das alles noch mehr verwirrt. Wieso machte sie so etwas mit einer Puppe? Die Puppe war ein Junge. Sie sagte immer nur er . Gab ihm nie einen Namen. Nur Sachen wie süßes Baby oder mein Kleiner. Das war auch merkwürdig, weil der Junge, den sie vor mir adoptiert haben, schon gar kein Baby mehr war, als er zu ihnen kam.«
    Ich schwieg einen Moment und überlegte, ob ich Woods ansehen sollte, um herauszukriegen, was er gerade dachte. Aber ich hatte noch mehr zu erzählen und wollte nicht sofort sehen, wie er darauf reagierte.
    »Als sie mitbekam, dass ich die Puppe hielt und wiegte, begann sie zu schreien. Oft schlug sie mich dann auch und sagte, ich solle bloß still sein, damit das Baby schlafen könne. Oder dass ich etwas zu essen machen und dafür sorgen solle, dass mein Bruder es zu sich nahm. Ich hasste es, wenn ich das machen musste, weil ich genau wusste, dass er es sowieso nie essen würde. Dass es alt werden und stinken würde, ehe sie aufgab und es schließlich wegwarf. Der Geruch nach vergammeltem Essen durchdrang unser ganzes Haus. Ich habe diesen Mief gehasst.« Ich lag ganz still in Woods’ Armen. Er hatte recht gehabt. Es half, mit jemandem zu sprechen, der mich liebte und der nicht einfach nur ein Psychiater war.
    »Wenn sie die Puppe schaukelte, fiel ihr irgendwann auf, dass sie aus Plastik war. Ich wusste nie genau, was sie

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