Erinnerung Des Herzens
Ohne sie hätten wir beide jetzt jede Menge Probleme am Hals.«
»Vielleicht wäre es besser, wenn Sie auf den Dreck achten würden, den Sie selber am Stecken haben.«
Drake hielt das für einen großartigen Scherz und drehte sich um. Er lachte immer noch, als er die Pistole erblickte. Die Kugel, die genau zwischen seinen Augen einschlug, spürte er nicht mehr.
31
Neugierige und Presseleute drängelten sich auf der ü JL Treppe zum Gerichtshof. Julias erste Prüfung an diesem Tag bestand darin, durch diese Menge hindurchzugehen. Lincoln hatte ihr erklärt, wie sie das machen musste. Flott gehen, aber nicht den Eindruck erwecken, in Eile zu sein. Den Kopf nicht senken, das wirkte schuldbewusst, ihn aber auch nicht zu hoch tragen, das wirkte arrogant. Sie durfte kein Wort sagen, nicht einmal das übliche »Kein Kommentar«, egal, welche Fragen auf sie eindringen mochten.
Es war ein warmer, sonniger Morgen. Sie hatte um Regen gebetet. Bei Regen wären vielleicht weniger Leute gekommen. Aber der Himmel war wolkenlos, ein wunderschöner, kalifornischer Sommertag. Sie stieg aus der Limousine. Lincoln und Paul nahmen sie in die Mitte. So gingen sie in die Menge hinein, die ihre Geschichte wollte, ihre Geheimnisse oder - ihr Leben. Nur die Angst, dass sie stolpern könnte und dann von ihr verschlungen würde, machte es ihr möglich, die Magenschmerzen zu ignorieren und das Zittern ihrer Beine zu unterdrücken.
Im Inneren des Gebäudes war mehr Luft, mehr Raum. Sie schüttelte die Übelkeit ab. Das würde schnell vorübergehen und hinter ihr liegen. Sie würden ihr Glauben schenken, sie mussten ihr Glauben schenken. Dann würde sie frei sein, ihr Leben von neuem beginnen können. Frei sein, um die eine Chance wahrzunehmen, die einen Neuanfang verhieß.
Seit Jahren hatte sie keinen Gerichtshof mehr betreten. Früher hatten ihre Mutter und ihr Vater ihr manchmal erlaubt, sie in den Ferien bei der Arbeit zu beobachten. Beide hatten dann völlig anders gewirkt als im normalen Alltag, wie überlebensgroße Schauspieler auf einer Bühne, mit feierlichen Gesten und einem eher stolzierenden Gang. Vielleicht hatte sie bei diesen Gelegenheiten den ersten Impuls empfangen, sich selber für die Bühnenlaufbahn zu interessieren.
Nein, dachte sie, das hatte ihr wohl im Blut gelegen. Das war ein Erbteil von Eve.
Auf ein Zeichen von Lincoln nahm Paul ihre beiden Hände in seine. »Es ist Zeit hineinzugehen. Ich werde rechts hinter dir sitzen.«
Sie nickte. Langsam berührte sie die Brosche, die sie ans Revers gesteckt hatte. Die Waage der Justizia.
Der Gerichtssaal war brechend voll. Unter den vielen fremden Gesichtern sah sie auch bekannte. CeeCee warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu. Travers saß steif und aufrecht mit verschlossenem Gesicht neben ihrer Nichte. Nina starrte auf ihre im Schoß verschränkten Hände, sie wollte oder konnte Julias Blick offensichtlich nicht begegnen. Delrickio, flankiert von seinen Leibwächtern, studierte sie leidenschaftslos. Glorias Augen standen voller Tränen. Sie zerdrückte ihr Taschentuch in der Hand und kuschelte sich an den schützenden Arm ihres Ehemannes.
Maggie schaute nur kurz zu Julia hin. Kenneth beugte sich über sie, um Victor etwas zuzuflüstern. Sein Blick, dieser gequälte, kummervolle Blick ließ Julia stocken. Sie hätte stehenbleiben und ihre Unschuld, ihre Wut und Angst laut herausschreien wollen. Aber sie musste weitergehen und ihren Platz einnehmen.
»Denk daran«, sagte Lincoln, »es handelt sich nur um eine Anhörung. Es muss beschlossen werden, ob genügend Beweise für einen Prozess vorliegen.«
»Ja, ich weiß«, sagte sie ruhig. »Das ist erst der Anfang.«
»Julia.«
Als sie Victors Stimme hörte, zuckte sie zusammen und drehte sich um. Er war älter geworden. In wenigen Wochen hatten die Jahre ihn eingeholt. Er hatte Tränensäcke unter den Augen und tiefe Linien um den Mund bekommen. Julia legte eine Hand auf das Geländer, das sie voneinander trennte.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Er atmete tief ein. »Wenn ich es gewusst hätte, wenn sie es mir erzählt hätte ... Alles wäre anders verlaufen.«
»Es sollte wohl nicht anders verlaufen, Victor. Ich hätte es sehr bedauert, wenn sie mich dazu benutzt hätte, dass die Dinge anders verliefen.«
»Ich möchte gern ...« In die Vergangenheit zurückkehren, dachte er, um dreißig Jahre, um dreißig Tage. Beides war gleicherweise unmöglich. »Bisher konnte ich mich nicht hinter dich stellen.« Er
Weitere Kostenlose Bücher