Erinnerung Des Herzens
Schauspielerin Gloria DuBarry befand sich in einem schwierigen Alter. Nach ihrer offiziellen Biographie war sie fünfzig. Aber laut ihrer Geburtsurkunde, die auf den Namen Ernestine Blofield ausgestellt worden war, hatte sie schon fünf fahre mehr zurückgelegt.
Die Natur hatte es gut mit ihr gemeint. Sie hatte sich nur ein paar Mal ein wenig liften lassen müssen, um ihr blendendes Aussehen zu erhalten. Immer noch trug sie ihr honigblondes Haar kurz geschnitten wie ein funge. Diese Frisur war in ihrer Glänzzeit von Millionen von Frauen kopiert worden. Ihr zartes Gesicht wurde beherrscht von großen, unschuldig dreinschauenden blauen Augen.
Die Presse lag ihr zu Füßen, dafür hatte sie gesorgt. Immer hatte sie großzügige Interviews gewährt. Sie war der Traum eines jeden Presseagenten. Bereitwillig hatte sie Bilder von ihrer ersten und einzigen Hochzeit verteilt und Anekdoten von ihren Kindern erzählt.
Sie galt als äußerst loyal und unterstützte regelmäßig die richtigen Wohltätigkeitsvereine. Zur Zeit engagierte sie sich besonders für notleidende Schauspieler und Tiere.
In den unruhigen sechziger Jahren hatten die einflußreichen Schichten Amerikas Gloria auf einen Sockel gesetzt - als Symbol für Unschuld, Moral und Vertrauen. Und mit Glorias Nachhilfe hatte man sie dort seit über dreißig Jahren belassen.
In dem einzigen Film, den sie je zusammen gedreht hatten, hatte Eve eine vitale ältere Frau gespielt, die den schwachen Ehemann der unschuldigen und schwer leidenden Gloria verführt und betrogen hatte. Diese Rollen hatten beider Image festgelegt: das gute Mädchen, die böse Frau. Seltsamerweise waren die beiden Schauspielerinnen Freundinnen geworden.
Zyniker könnten sagen, dass ihre Beziehung durch die Tatsache gefestigt worden war, dass sie nie gezwungen gewesen waren, um eine Rolle oder um einen Mann zu kämpfen. Daran war durchaus etwas Wahres.
Als Eve ins Chasen kam, saß Gloria bereits brütend vor einem Glas Wein. Es gab nur wenige Leute, die Gloria gut genug kannten, um die innere Unruhe hinter ihrer glatten Fassade zu durchschauen. Eve gehörte dazu. Es wird ein langer Nachmittag werden, dachte sie.
»Champagner, Miss Benedict?« fragte der Kellner, als die beiden Damen flüchtige Küsse auf die Wangen ausgetauscht hatten. Sie hatte kaum Platz genommen, als sie auch schon nach einer Zigarette griff. Sie lächelte dem Kellner zu, als er sie ihr anzündete. »Natürlich.« Sie wusste, dass sie nach der morgendlichen Sitzung großartig aussah. Ihre Haut war fest und glatt, ihr Haar seidig und weich, ihre Muskeln locker. »Wie geht es dir, Gloria?«
»Nicht schlecht.« Sie verzog den Mund ein wenig, als sie ihr Glas hob. »Wenn man berücksichtigt, wie mein neuer Film in Variety heruntergemacht worden ist.«
»Du bist schon viel zu lange im Geschäft, um dir durch die bissige Kritik eines rotznäsigen Reporters die Laune verderben zu lassen.«
»Ich bin nicht so wie du«, sagte Gloria mit einem leicht überlegenen Lächeln. »Du hättest dem Kritiker wahrscheinlich gesagt, er könne ...«
»Mich mal?« sagte Eve mit süßer Stimme, als der Kellner ihr den Champagner brachte. Lachend klopfte sie ihm auf die Hand. »Sie habe ich nicht gemeint, Darling.«
»Also, Eve, wirklich.« Aber Gloria musste kichern, als sie sich vorbeugte.
Immer noch das prüde kleine Mädchen, dachte Eve nicht ohne Sympathie. Wie mochte es sein, wenn man an seine eigene Werbung glaubte?
»Wie geht es Marcus?« fragte sie. »Wir haben euch beide vermisst bei der Wohltätigkeitsveranstaltung.«
»Oh, es hat uns so leid getan, dass wir nicht kommen konnten. Marcus hatte ganz furchtbare Kopfschmerzen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwierig es heute im Geschäftsleben ist.«
Das Thema Marcus Grant, mit dem Gloria nun schon seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet war, langweilte Eve immer. Sie machte ein unverbindliches Geräusch mit der Zunge und widmete sich der Speisekarte.
»Und am allerschlimmsten ist es im Gastgewerbe«, fuhr Gloria fort, immer bereit, die Leiden ihres Mannes mitzutragen, auch wenn sie nichts davon verstanden hatte. »Die Leute vom Gesundheitswesen schnüffeln überall herum, und die Gäste machen sich Sorgen wegen Cholesterin und Fett. Das schnelle und geschmackvolle Fertigessen, das die Amerikaner der Mittelklasse so lange bevorzugt haben, ist nicht mehr so gefragt.«
»Der kleine rote Karton an jeder Ecke«, sagte Eve und charakterisierte damit Marcus Grants Fast-Food-Kette.
Weitere Kostenlose Bücher