Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Stellung?
Oder wie hat sich der » Monotheismus« entwickelt: War Mose wirklich schon ein Vertreter eines exklusiven Monotheismus, wie ihn später biblische Redakteure vertreten, und stand dieser vielleicht in Beziehung zum Monotheismus des Pharao Echnaton (Amenophis IV.) im 14. Jahrhundert v. Chr.?
Oder die Frage, die mehr und mehr auch Theologen und Theologinnen beschäftigt, nach der »weiblichen Gottheit« : Wir fahren in einem wunderbar altertümlichen Segelboot von Assuan auf die Nilinsel Elephantine, die nach dort ausgegrabenen hebräischen und aramäischen Urkunden im 5. Jahrhundert v. Chr. zweifellos eine jüdische Kolonie unter persischer Herrschaft war. Dort wurde ein Relief gefunden, das einen Gott und eine Göttin zeigt. Eine Partnerin für Jahwe? Die Bedeutung dieses Fundes, für Feministinnen sehr wichtig, ist für die Religion Gesamtisraels nach wie vor umstritten, aber wegen der auf Elephantine bezeugten Gleichberechtigung der Frau etwa bei der Ehescheidung ist er immerhin signifikant.
Schließlich sprechen wir über die Frage der »Jungfrauengeburt« : Vor dem großen Relief im Tempel von Luxor erzählt uns Helmut Brunner, wie nach altägyptischer Auffassung schon der Pharao als Gottkönig wunderbar gezeugt wird: aus dem Geistgott Amon-Re in der Gestalt des regierenden Königs und der jungfräulichen Königin. Seine Frau EMMA BRUNNER-TRAUT , ebenfalls ausgezeichnete Ägyptologin, hat in einem schönen Aufsatz über »Pharao und Jesus als Söhne Gottes« aufgezeigt, dass so gut wie alle Episoden der Geburtsgeschichte Jesu im Neuen Testament, der Weihnachtsgeschichte, in Ägypten nachweisbar sind. Was folgt daraus für den christlichen Glauben?
Ich bin gebeten, am Abend desselben 23. Februar 1980 in Luxor eine sonntägliche Eucharistiefeier für unsere mehrheitlich theologische Reisegruppe zu halten: für mich, der ich in diesen Wochen durch Rom in meiner kirchlichen wie universitären Existenz bedroht bin, ein bewegendes Ereignis. Meine Predigt geht aus von jenem Relief und dem biblischen Befund, dass die beiden Großevangelien von Mattäus und Lukas für die Geburtsgeschichten Jesu eine »ätiologische« Legende oder Sage benützt haben könnten (das älteste Evangelium von Markus und das letzte von Johannes enthalten sie nicht), um im Nachhinein eine Begründung (griech.: »aitía«) der Gottessohnschaft zu liefern. Das heißt nun aber: Das Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu ist nach dem Neuen Testament nicht an die Bejahung einer (biologisch verstandenen) Jungfrauengeburt gebunden.
Aber bei allen hochinteressanten religiösen Phänomenen im alten Ägypten – das heutige arabische Ägypten lerne ich später genauer kennen –, Ägypten ist nicht typisch für Afrika. Auch sind die christlichen Nachkommen der Ägypter des Altertums, die »Kopten« (vom griechisch-arabischen Wort für »Ägypter«), eine in Ägypten leider nicht immer vornehm behandelte Minderheit, wiewohl sie auf dem Land noch manche alte ägyptische Sitten und Gebräuche bewahrt haben. Ich habe bei einem späteren Besuch Kontakt mit ihnen. Entsetzt registriere ich, dass es in Kairo und Alexandria 2011/12 zu schweren Konflikten zwischen ägyptischen Muslimen und Kopten kommt; im Zusammenhang mit der Revolution dann aber auch erfreulicherweise zu gemeinsamen Aktionen, denen allerdings neue Konflikte folgen.
Besonders interessiert mich in diesem afrikanischen Kontext das traditionsreiche eigenständige Land im Südosten von Ägypten: Äthiopien, dessen Geschichte uns große Rätsel aufgibt. Sechs Jahre nach meiner Ägyptenreise kann ich, assistiert von Marianne Saur, dieses Land kennenlernen und zwar im Rahmen einer siebenwöchigen Studien- und Vortragsreise durch das subsaharische Afrika (10. Januar bis 8. März 1986): Nigeria – Äthiopien – Sambia – Mosambik – Republik Südafrika – Namibia – Simbabwe – Tansania – Kenia – Zaire. Es amüsiert mich, dass ich ausgerechnet beim Flug über die Sahara am 10. Januar 1986 in der »International Herald Tribune« einen ganzseitigen Artikel von KENNETH WOODWARD über »Tübingen, Medieval and Forever Young« lesen kann, der sogar einen freundlichen Hinweis auf meine Vorlesungen enthält.
Äthiopien: ein untergründiges judenchristliches Paradigma?
Im Jahr 1986 fliegen wir also von Nigeria, im Westen des Kontinents, nach Äthiopien im Osten. Welches Glück, dass wir in Addis Abeba (»neue Blume« = neue Hauptstadt) pünktlich zum größten Fest des
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