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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Papst Franziskus Reformen anpackt, wird er breite Zustimmung des Volkes weit über die katholische Kirche hinaus finden. Wenn er aber schließlich so weitermachen und den Reformstau nicht auflösen sollte, wird der Ruf »Empört euch! Indignez-vous!« mehr und mehr auch in der katholischen Kirche erschallen und Reformen von unten provozieren, die auch ohne Billigung durch die Hierarchie und oft sogar gegen die Vereitelungsversuche der Hierarchie realisiert werden. Im schlimmsten Fall – so schrieb ich schon vor dieser Papstwahl – wird die katholische Kirche statt eines Frühlings eine neue Eiszeit erleben und Gefahr laufen, zu einer wenig relevanten Großsekte zu schrumpfen.
    Doch wie sollen denn Reformen »von unten« in die Wege geleitet werden? Ich kann nichts Besseres raten, als was ich schon vor sage und schreibe 40 Jahren – wer denkt da nicht an Israels 40-jährigen Zug durch die Wüste! – der Erklärung »Wider die Resignation« von 33 prominenten Theologen 1972 auf den Weg gegeben hatte; zu diesen gehörten aus dem deutschen Sprachraum die Reformtheologen, an erster Stelle unser Stiftungsgründer HERBERT HAAG , aber auch ALFONS AUER , FRANZ BÖCKLE , NORBERT GREINACHER , OTTO KARRER , WALTER KASPER und JOHANN BAPTIST METZ . Ich wiederhole die fünf Parolen:
    Parole 1 : Schweiget nicht !Jedermann in der Kirche, ob im Amt oder nicht, ob Mann oder Frau, hat das Recht und oft die Pflicht, über Kirche und Kirchenleitung zu sagen, was er oder sie denkt und was er oder sie zu tun für nötig erachtet, also Vorschläge zur Verbesserung einzubringen (vgl. CIC Kanon 212 §   3).
    Vertraut auf die Macht des Wortes ! Drei tapfere junge Frauen haben in Moskau als Pussy Riot des Kremlchefs Putin autoritäres Regime vor aller Welt blamiert. Und der chinesische Künstler Ai Weiwei hat sich in Peking, weltweit beachtet, für Menschenrechte, Demokratie und Gerechtigkeit eingesetzt und dem ganzen totalitären Parteiapparat getrotzt.
    Parole 2 : Selber handeln! Nicht nur klagen und über Rom und die Bischöfe schimpfen, sondern selber aktiv werden.
    Vertrauen wir auf die Macht der Tat . Gerade in der modernen Gesellschaft haben Einzelne wie Gruppen die Möglichkeit, das kirchliche Leben, besonders durch die neuen Medien und das Internet, positiv zu beeinflussen. Ob nicht vielleicht doch einmal nach dem Arabischen ein »Katholischer Frühling« kommen könnte?
    Parole 3 : Geht gemeinsam vor ! Der Einzelne soll, wo immer möglich, mit der Unterstützung von anderen vorgehen: von Freunden, des Pfarrgemeinderates, des Priester- oder Pastoralrates und der katholischen Laienverbände, oder auch der freien Gruppierungen von Laien, der Reformbewegungen, der Priester- und Solidaritätsgruppen.
    Vertraut auf die Macht der Gemeinschaft . Vor 40   Jahren habe ich den Satz formuliert, der erst im Jahr 2011 in Erfüllung gegangen ist: »Ein Pfarrer in der Diözese zählt nicht, fünf werden beachtet, fünfzig sind unbesiegbar.« Die mutige und nachhaltige Pfarrerinitiative in Österreich, an der Spitze unser Preisträger HELMUT SCHÜLLER , zählt bereits rund 500 Unterzeichner und hat den zuerst mit Exkommunikation drohenden Wiener Kardinal CHRISTOPH SCHÖNBORN zum Einlenken gebracht. Und die in der Schweiz eingeleitete Pfarreiinitiative zählt auch bereits fast 550 Unterschriften von Seelsorgern und Seelsorgerinnen. Ähnliche ermutigende Aufbrüche und Entwicklungen an der Kirchenbasis gibt es heute überall in der Welt. Es ist zu hoffen, dass sich diesen Bewegungen viele weitere Einzelne, Gruppen und vor allem Seelsorger anschließen.
    Parole 4: Zwischenlösungen anstreben !Diskussionen allein helfen nicht, oft muss man zeigen, dass man es ernst meint. Und dies durchaus mit gutem Gewissen. Denn ein Druck auf die Autoritäten im Geist christlicher Brüderlichkeit kann dort legitim sein, wo Amtsträger ihrem Auftrag nicht entsprechen. Wer nicht hören will, muss fühlen.
    Vertraut auf die Macht des Widerstands :Die Volkssprache in der gesamten katholischen Liturgie, die Änderung der Mischehenbestimmungen, die Bejahung von Toleranz, Demokratie, Menschenrechten – so vieles in der Kirchengeschichte ist nur durch den ständigen loyalen Druck von unten erreicht worden. Der weitverbreitete Ungehorsam der deutschen Pfarrgemeinden etwa gegenüber dem römischen Verbot von Ministrantinnen hat es deutlich gezeigt: Wo eine Maßnahme der kirchlichen Autorität ganz offensichtlich dem Evangelium nicht entspricht, können Ungehorsam und

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