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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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23. Dezember 1982. Hinter meinem Rücken hatte sie sich um die Stelle einer Studienleiterin der Evangelischen Akademie Arnoldshain beworben und diese erhalten.
    In aller Eile wird nun eine Ersatzkandidatin gesucht. Unsere Wahl fällt auf die evangelische Historikerin Dr.  DORIS KAUFMANN , keine Theologin, aber mit Erfahrung in der Frauenforschung. Allerdings muss ich in Kauf nehmen, dass sie die Thematik der Christinnen im 20. Jahrhundert auf die evangelischen Frauenverbände einengt, die vor den Jahren des Nationalsozialismus ihre große Zeit hatten. Zu einer Parallelarbeit über die katholischen Frauenverbände wird es nicht kommen, da die vorgesehene Bewerberin ihre schon länger vorbereitete Promotion schließlich doch nicht abschließt.
    Eine zweite Enttäuschung: Die Bearbeiterin des Teilprojekts I, Dr.  BERNADETTE BROOTEN , konzentriert sich zunächst auf die umstrittene Frage nach dem Recht jüdischer Frauen auf Scheidung zur Zeit Jesu und vertritt gegen die herrschende Meinung die These, dass auch Frauen im Judentum die Scheidung hatten beantragen können. Doch sie stößt mit ihren Interpretationen auf begründeten Widerstand führender Fachleute, etwa des angesehenen Zürcher Exegeten EDUARD SCHWEIZER , der mein Buch »Christ sein« so positiv besprochen hatte. Allzu optimistisch war sie über das Ziel hinausgeschossen beim Bestreben, den üblichen apologetischen (christlichen) Standpunkt zu überwinden, eine (angebliche) jüdische Frauenfeindlichkeit gegen eine christliche Frauenfreundlichkeit auszuspielen. Offensichtlich kommt unsere feministische Theologin an diesem Punkt nicht weiter, es fehlt ihr an historischen Belegen. Und nicht zuletzt wegen dieser Verlegenheit konzentriert sie sich nun immer mehr auf die Behandlung eines einzigen Verses im Römerbrief des Apostels Paulus (1,26), der die praktizierte Homosexualität verurteilt.
    Schon früh tragen Elisabeth Moltmann und Doris Kaufmann ihrer Kollegin erhebliche Bedenken vor, die von der VW-Stiftung genehmigte Thematik willkürlich auf diesen einen Punkt »Homosexualität« einzuschränken. Dass auch die Frage lesbischer Beziehungen im Rahmen eines Projekts zur Sexualität zu untersuchen sei, ist nie strittig. Aber es ist wissenschaftlich unverantwortbar, die umfassende Frage nach der Rolle der Frauen im Urchristentum faktisch auf die Frage nach den Lesbierinnen und eine einzige Schriftstelle zu reduzieren und von ihr her alle Paulus-Briefe »interpretieren« zu wollen. Dagegen muss ich schließlich als verantwortlicher Projektleiter förmlich Einspruch erheben. Von allen möglichen Seiten und mit verschiedenen vernünftigen Kompromissvorschlägen versucht man Frau Brooten zum Einlenken zu bewegen. Doch sie erweist sich als völlig beratungsresistent.
    Angesichts der jetzt drohenden Kündigung wendet sie sich lieber an das Rechtsamt der Universität, und man kann in dem Schlussbericht zu unserem Forschungsprojekt zu Händen der Volkswagen-Stiftung nachlesen, welches juristische Hin und Her die Folge war – bis Frau Brooten schließlich zu unserer völligen Überraschung (und Erleichterung) am 23. November 1984 von sich aus ihren Arbeitsvertrag kündigt, freilich mit der fadenscheinigen Begründung, die von der Universität und von mir geteilte Auffassung von Forschungsfreiheit entspräche nicht den Bedingungen, unter denen sie das Projekt übernommen habe. Sie bleibt auf ihr spezielles Thema fixiert, doch erst ein Dutzend Jahre später wird sie endlich ein Buch über die frühen christlichen Antworten auf die weibliche Homoerotik veröffentlichen unter dem Titel »Love Between Women«.
    Eine dritte Enttäuschung: Die Hilfskräfte unseres Frauenprojekts, von mir und Frau Moltmann genau orientiert, identifizieren sich allesamt nicht mit uns, sondern mit Frau Brooten, die eine Begabung besitzt, bei Frauen Empathie und Sympathie für sich zu wecken. Unerfreulicherweise inszeniert die Amerikanerin in der Lokalpresse und weit über Tübingen hinaus eine hässliche Medienkampagne, die vor allem mithilfe einer feministischen Streitschrift mit dem bezeichnenden Namen »Schlangenbrut« vorangetrieben wird. Das Tübinger »Schwäbische Tagblatt« versagt mir unter windigen Vorwänden eine Antwort auf die hässlichen Angriffe. Mir wird vorgeworfen, grundsätzlich gegen Lesbierinnen zu sein, wiewohl ich Bernadette Brooten auch dann in unserem Projekt behielt, als ich schon vor einiger Zeit aus Claremont/Kalifornien gehört hatte, dass sie dort wegen

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