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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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lesbischer Beziehungen zu einer Studentin von ihren Lehrverpflichtungen entbunden worden sei. Erst nach Brootens definitiver Rückkehr in die USA im Sommer 1985 bleiben unserem Institut für Ökumenische Forschung weitere Unruhen dieser Art erspart.
    Eine vierte Enttäuschung: Über die Illoyalität der wissenschaftlichen Hilfskräfte hinaus muss ich nun auch noch die Erfahrung machen, dass keine einzige der für das Projekt eingestellten Doktorandinnen eine Dissertation abschließt. Dass das Teilprojekt I nicht total ins Wasser fällt, habe ich meiner langjährigen wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. theol.  ANNE JENSEN zu verdanken. Sie übernimmt, nachdem sich keine geeignete Nachfolgerin gefunden hat, das Projekt und verbindet es mit ihrem Habilitationsverfahren.
    Das Projekt ist jetzt wieder ausgerichtet auf die ersten vier christlichen Jahrhunderte als Ganzes, besonders auf die Frau in den vier maßgebenden alten Kirchengeschichten (verfasst von Eusebios, Sokrates, Sozomenos und Theodoret), auf die Rolle der Märtyrerinnen, Prophetinnen und Lehrerinnen. Frau Jensen weist eindrucksvoll nach, wie sich in den ersten Jahrhunderten des Christentums die Bemühungen verstärkten, öffentliche Aktivitäten von Frauen in der Kirche einzuschränken. Und wenn man sich fragt, was die Frauenemanzipation verhindert habe, beschreibt sie vor allem drei Faktoren: die Durchsetzung hierarchischer Strukturen gegen die ursprüngliche Gleichheit aller Glaubenden; weiter die Sexualfeindlichkeit, die ein allgemeines spätantikes Phänomen ist, aber in der Christenheit eine besondere Ausprägung erhält; schließlich die Bildung, die auch für Frauen im Hellenismus ein Ideal ist, aber in der Christenheit zunehmend vernachlässigt wird. Das trägt dazu bei, Frauen vor allem als »Leib« wahrzunehmen. Alles recht komplexe Vorgänge, hier nicht nachzuzeichnen, die aber deutlich machen, dass das reale Christentum der Frauenemanzipation, der es zum Teil vorangeholfen hat, doch in vielen Fällen entgegenstand. Die Arbeit Anne Jensens, 1991 habilitiert, erscheint unter dem Titel »Gottes selbstbewusste Töchter. Frauenemanzipation im frühen Christentum?« (Freiburg 1992). Sie selber wird nach mehreren Gastdozenturen und zweijährigem Ringen um die Erteilung des römischen »nihil obstat« schließlich an die Karl-Franzens-Universität Graz berufen auf einen Lehrstuhl für Ostkirchliche Orthodoxie und Patrologie, den sie bis zu ihrer Emeritierung innehat. In Graz ist sie auch am 13. 8. 2008 gestorben.
    Aufs Ganze gesehen wird so das von der Stiftung Volkswagenwerk geförderte Projekt doch zu einem großen Erfolg. Und dies nicht nur durch die unmittelbaren Forschungsergebnisse über die Frau in den christlichen Ursprüngen und in der kirchlichen Gegenwart: Ungezählte junge Akademikerinnen haben durch unser Projekt Kontakt mit der theologischen Frauenforschung bekommen. Das demonstriert die fast endlose Liste von Veranstaltungen, die ich selber im Sommersemester 1981 zusammen mit der damaligen Diplomtheologin Anne Jensen eingeleitet hatte in einem Seminar, das die religionskritischen Bücher der früheren Katholikin Mary Daly »The Church and the Second Sex« und »Beyond God the Father« kritisch untersuchte. Das Projekt mit seinem ganzen personellen wie finanziellen Aufwand hat sich gelohnt, wie ich in unserem Schlussbericht an die Stiftung Volkswagenwerk, der fast 100   Seiten umfasst, darlegen kann.
    Für mich persönlich sind das Voraussetzungen dafür, dass ich später in meinem großen Band »Das Christentum. Wesen und Geschichte« (1994) in jedem der fünf epochalen Paradigmen einen ausführlichen Abschnitt über die Position der Frau erarbeiten kann. Als Mann sollte ich mich schließlich doch als fähig erweisen, ein kleines, aber wohlstrukturiertes und informationsreiches Buch über »Die Frau im Christentum« (2001) zu veröffentlichen. Ich bin erstaunt, wie weit dieses Buch herumkommt, sogar auf einer Vortragsreise in Brasilien im Oktober 2007 reicht man es mir immer wieder zum Signieren. Und die Organisatoren meiner Reise sind völlig überrascht, wie begeistert etwa die Nonnen des Colégio Nossa Senhora da Assunção reagieren, als sie von meinem kurzen Besuch in ihrer Schule auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt Curitiba (Hauptstadt des Bundesstaates Paraná) hören. Die Schüler und Schülerinnen begrüßen mich mit Gesang und selbst gemachten Symbolen der Weltreligionen, die sie in feierlicher Prozession hereinbringen

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