Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
begrüßt mich mit einem wenig freundlichen Artikel (16. 10. 1981): Ich hätte als Autor und Professor die Freiheit zu sagen, was ich wolle, könne aber nicht als katholischer Theologe sprechen. Der Klerus indessen schweigt zum Fall Cody. Das römische Repressionssystem funktioniert wieder wie vor dem Konzil. Über 100 Einladungen zu Vorträgen erhalte ich in meiner Chicago-Zeit. Nur eine einzige stammt von einer katholischen Institution, von der relativ unabhängigen University of Notre Dame. Und auch dort verteilt man vor dem Vortragssaal die Erklärung der römischen Glaubenskongregation vom 15. Dezember 1979 gegen mich mit der Schlagzeile: »Es kann keinen Zweifel geben, dass Father Hans Küng gegen Lehren der Kirche verstieß«, und gerne zitiert man Karl Rahners Wort gegen mich, er könne mit mir nur wie mit einem »liberalen Protestanten« reden.
Die scharfsinnigste Analyse der gegenwärtigen kirchenpolitischen Situation stammt vom bereits erwähnten ANDREW GREELEY , als Professor am National Opinion Research Center der University of Chicago ein stets mit Statistiken aufwartender hervorragender Kenner der Lage der katholischen Kirche (Beispiel: 95 Prozent der Katholiken zwischen 14 und 29 Jahren sind für künstliche Geburtenregelung). Der Himmel wisse, schreibt er nun in einer seiner weitverbreiteten Kolumnen, dass es nicht leicht sei, die University of Chicago zu beeindrucken. Meine Popularität während dieses Semesters an der University sei alles andere als selbstverständlich. Eine konservative, skeptische, blasierte Gemeinschaft sei darauf eingestellt gewesen, den umstrittenen Schweizer Gelehrten nicht gerade zu mögen. Das Gerücht gehe ihm voraus, er sei ein Radikaler, eine Primadonna, ein Mann, mit dem schwer zusammenzuarbeiten sei. Die University of Chicago aber liebe keinerlei Radikale und auch nur bei ihr selbst gewachsene Primadonnen. Doch: »Küngs Charme, Bemühen um die Studenten, Offenheit für die Kollegen und solide Wissenschaftlichkeit bedeuteten, meine ich, eine erfreuliche Überraschung. Ebenso die totale Orthodoxie seiner neuesten Werke über die Existenz Gottes und die Tatsache eines ewigen Lebens. Die Hyde-Park-Gelehrten waren vorbereitet auf große Scharen in seinen öffentlichen Vorträgen und seinen Vorlesungen im Hörsaal. Aber sie waren nicht darauf vorbereitet, Küng zu mögen und zu bewundern, gar von ihm zu lernen.«
Wie wunderbar wäre es doch, folgert Greeley, wenn die katholische Kirche Anteil haben könnte an diesem Erfolg eines katholischen Theologen an der University of Chicago. »Wenn er kein Katholik ist, was ist er dann? Ich habe niemals jemand Katholischeren gehört«, zitiert Greeley ein Mitglied des Lehrkörpers. Aber so würde sich nun einmal »the irony and the tragedy« von Hans Küng fortsetzen. Für die meisten nicht-katholischen Gelehrten sei das Faktum seines Katholischseins selbstverständlich. Aber innerhalb der Kirche bestritten ihm Rom und viele Katholiken den Namen Katholik. Dabei sei er doch im Grunde ein konservativer Theologe.
Greeleys Schlussfolgerung: »Hans Küngs Probleme sind politisch, nicht theologisch. Weil er ein populärer und charismatischer Leader mit einer großen Gefolgschaft ist, weil seine Bücher Bestseller sind, weil er das Versagen der katholischen Kirche mit unverblümten und deutlichen Worten kritisiert, wird er wahrgenommen als eine Bedrohung des Machtmonopols in der Kirche, wie es durch die römische Kurie aufgebaut (hoarded) wurde.«
Zu diesem Bild passt, dass hoch qualifizierte, aber kritische Leute in der katholischen Kirche zunehmend nicht mehr Karriere machen können. Bischofskandidaten jedenfalls werden nach ganz bestimmten Regeln der theologischen wie praktischen Linientreue gesiebt, sodass der Episkopat schon vom Nachwuchs her immer konformistischer wird. Dem hervorragenden Kardinal JOHN DEARDEN von Detroit, langjähriger Präsident der Amerikanischen Bischofskonferenz, ein echter »Konvertit« des Vatikanums II, folgt 1981 ganz im Sinn von Johannes Paul II. der wenig beliebte polnisch-konservative Erzbischof EDMUND CASIMIR SZOKA , später eine zwielichtige Figur in der Finanzverwaltung des Vatikanstaates. Er versucht meine Rede in Ann Arbor durch Abzug der katholischen Mitglieder aus dem Leitungsteam der »Ecumenical School for Ministry« zu verhindern.
Umgekehrt kommt es auch vor, dass immer wieder hoch qualifizierte Persönlichkeiten ihren Posten in einer katholischen Institution aufgeben müssen. So
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