Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlöst mich: Thriller (German Edition)

Erlöst mich: Thriller (German Edition)

Titel: Erlöst mich: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
Vom Netzwerk:
um, und ich nahm die fast unmerkliche Veränderung wahr, die sich in ihrem Gesicht abzeichnete, als sie sich erinnerte, weshalb wir hier waren und welche Gefahr drohte.
    »Du musst nicht mitkommen. Du hast schon genug geleistet.«
    »Nein«, sagte sie und sah mich fest an. »Wir stecken da beide drin. Und mach dir nichts vor: Du wirst mich brauchen.«
    Ich lächelte. »Na, dann los.«
    Wir stiegen aus, ich reckte mich und versuchte, die Verspannungen in meinem Rücken abzuschütteln, während Tina sich eine Zigarette anzündete. Am anderen Ende des Parkplatzes stand ein verlassener Jeepney, der vielleicht jemandem als Wohnung diente. Zwei Filipinas kauerten über einem Feuer und bereiteten Essen zu, während ein halbes Dutzend kleiner Kinder Fangen spielte. Ihr unbeschwertes Lachen drang zu uns herüber.
    Ich sah ihnen ein paar Augenblicke lang zu, und plötzlich stiegen die Erinnerungen an meine eigene Kindheit in mir auf, an die Zeit, als ich noch Teil einer Familie war, die mich liebte. Ich hatte auch immer mit meinen Freunden im Garten hinter dem Haus gespielt, und meine drei Jahre jüngere Schwester Mary hatte dauernd gebettelt, mitspielen zu dürfen. Wenn wir Nein sagten, brach sie in Tränen aus, und ich bekam Mitleid und ließ sie mitspielen. Himmel, meine Schwester. Nach dem Tode unserer Eltern, als wir langsam erwachsen wurden, lebten wir uns auseinander. Und ich hatte sie über zehn Jahre weder gesehen noch mit ihr gesprochen. Ich wusste nicht einmal, ob sie noch lebte.
    Mich überkam eine gewaltige Sehnsucht nach ihr, ich wollte sie anrufen und ihr sagen, dass ich, ganz egal, was über mich geschrieben wurde, kein ganz schlechter Mensch war.
    »Weißt du, was mir hier auf den Philippinen am meisten auffällt?«, sagte Tina, als sie um den Wagen herumkam. »Überall, wo man hinschaut, sieht man kleine Kinder, und alle jungen Frauen scheinen schwanger zu sein. Und doch müssen alle in solch bitterer Armut leben.«
    »Das haben sie der katholischen Kirche zu verdanken«, sagte ich, den Blick immer noch auf die Kinder gerichtet, die im Dreck herumtollten. »Die Philippinen haben die am schnellsten wachsende Bevölkerung in der Welt, aber die Kirche predigt weiterhin gegen den Einsatz von Verhütungsmitteln. Und das wollen die Guten sein.«
    »Die Kinder da, für die gibt es keine Hoffnung, nicht? Sie wachsen arm auf, produzieren noch mehr Kinder und sterben arm.«
    »Ich denke ja«, sagte ich widerstrebend. Ich wollte nicht darüber nachdenken. Mich lieber an glücklichere Zeiten erinnern.
    »Da fragt man sich, was das alles soll«, sagte Tina düster und sog wütend an ihrer Zigarette. »Manchmal hasse ich die Welt. Weil sie voller kranker, gieriger, selbstsüchtiger Menschen ist, und je mehr man von denen wegschließt, desto mehr tauchen in einer anderen Ecke auf, um ihren Platz einzunehmen. Das ist ein endloser, sinnloser Teufelskreis.«
    »Wir haben das Schlimmste davon miterlebt, denn für diesen Weg hatten wir uns entschieden. Aber weißt du was? Trotz all der Scheiße und all der Sinnlosigkeit, trotz all der Heeds und Wise ist die Welt dennoch ein schöner Ort.«
    Ich dachte an Laos. Mein Zuhause. »Ich lebe in diesem netten kleinen Dorf, wo die Leute arm, aber trotzdem glücklich sind. Das Leben ist einfach da. Kaum Fernsehen, keine missbrauchten Kinder. Keine Skandale wegen untreuer Politiker, die unter der Hand schmierige Deals einfädeln. Es wird auch niemand ermordet, oder jedenfalls nur äußerst selten. Der Ort ist vom grünen Regenwald umgeben,
wir haben Flüsse, auf denen man Kajak fahren kann. Und eine halbe Autostunde von meinem Haus entfernt gibt es einen gewaltigen Wasserfall, und manchmal klettere ich hoch – von oben hat man einen fantastischen Blick über das Tal – und schwimme in einem der eiskalten Teiche, die über die Jahrtausende in die Felsen gewaschen wurden. Wenn ich dort bin, vergesse ich jedes Mal all die Verbrechen, die ich begangen habe, was ich alles verloren habe, alles … und bin einfach glücklich.«
    Ich ließ den letzten Satz verklingen und fragte mich, ob ich mein Zuhause je wiedersehen würde.
    Tina legte mir die Hand auf den Arm und drückte ihn sanft.
    »Danke«, sagte sie leise. »Ich werde das nicht vergessen.«
    Ich wollte sie in die Arme schließen und küssen und sie ein paar Minuten festhalten, ehe wir unsere Mission fortsetzten, aber ich hielt mich zurück. Wir hatten keine Zeit mehr. Deshalb wandte ich mich ab und stieg den steilen Pfad hinunter.

Weitere Kostenlose Bücher