Erlöst mich: Thriller (German Edition)
kroch.
Es war fast ein Uhr morgens, als wir endlich nicht weit von der Bucht in eine vergleichsweise ruhige Seitenstraße im Ermita-Viertel einbogen. Das Taxi hielt vor einem kleinen Hostal, das hinter einem schmiedeeisernen, mit Stacheldrahtrollen bewehrten Zaun stand. Das Zimmer war zwei Tage im Voraus auf den Namen Robert Mercer gebucht worden, den Namen, auf den mir Bertie Schagel vor drei Jahren meine neue Identität verpasst hatte und den ich seitdem stets benutzte.
Kaum war ich ausgestiegen, um den Taxifahrer zu bezahlen, tauchten auch schon ein paar schäbig gekleidete Straßenhändler aus der Dunkelheit auf. Einer versuchte mir eine gefälschte Rolex anzudrehen, der andere eine Stange Zigaretten, doch ich drängte mich wortlos an ihnen vorbei, meine Sympathie für ihren Einsatz wurde von meiner Müdigkeit neutralisiert. Ich drückte auf die Klingel.
Ich nehme an, ich hatte den Besitzer geweckt. Es dauerte mehrere Minuten, bis die Sprechanlage zu krächzen begann, währenddessen die Händler nichts unversucht ließen und mir ihre Waren unter die Nase hielten. Als der Besitzer sich endlich meldete, musste ich dreimal meinen Namen wiederholen, ehe er sich bequemte, herunterzukommen und mir das Tor aufzuschließen, wobei er uns alle mit demselben mürrischen Blick bedachte, den ich, zumindest was mich anging, etwas unangebracht fand. Schließlich ließ er mich hinein.
Mein Zimmer war ein kleines Viereck mit einem Einzelbett und Blick auf die Brandmauer des anliegenden Gebäudes. Die Klimaanlage an der Wand ächzte und brummte, und eine Kakerlake von der Größe eines Hirschkäfers spazierte selbstsicher auf der Wand herum.
Der Eigentümer, ein zu kurz geratener hässlicher Mann mit einem Hängeschnauzer à la Charles Bronson, blieb in der Tür stehen.
»Okay?«, fragte er, als wolle er sehen, ob ich es wagte, »Nein« zu sagen.
»Sicher doch.«
Ein ungemütliches Schweigen entstand. Ich nahm an, er wartete auf ein Trinkgeld, das ich ihm nicht gab, weil ich dachte, mir mein Zimmer zu zeigen, gehöre zu den Grundvoraussetzungen seines Jobs. Nach einigen Sekunden kapierte er und ging. Als er weg war, legte ich die Kette vor und warf meine Reisetasche auf das Bett, ehe ich mir ein paar Latexhandschuhe überstreifte und unter die Matratze griff.
Die Pistole war da. Ich zog sie hervor und inspizierte sie. Es war eine M1911, eine 45er mit angeschraubtem Schalldämpfer. Hergestellt von einer Firma namens Firestorm, die ich als lokale philippinische Manufaktur in Erinnerung hatte. Die Waffe war billig, aber verlässlich und leicht zu handhaben, vor einigen Jahren hatte ich sie schon einmal bei einem Job benutzt. Die, die ich jetzt in den Händen hielt, war sauber und wirkte neu. An die Kolben waren zwei Magazine mit jeweils acht Schuss geklebt, die ich beide leerte. Ich überprüfte die Patronen: Teilmantelgeschosse, besser bekannt unter dem Namen Dum-Dum und dafür konzipiert, riesige Wunden zu reißen, nachdem sie in den Körper eingedrungen sind und aufplatzen. Wenn ich damit aus kurzer Entfernung auf mein Opfer schoss, würde es keine Chance haben. Allerdings war bei einer 45er trotz Schalldämpfers der Lärm nicht zu verachten, was das Risiko beträchtlich erhöhte. Eine 22er wäre die bessere
Wahl gewesen, aber man muss mit dem arbeiten, was man geliefert bekommt.
Ich lud ein Magazin, schob es in den Kolben und zog den Schlitten nach hinten, bevor ich beidhändig auf die Tür zielte. Die Pistole fühlte sich angenehm schwer an, ich spannte den Hahn, sah, den Daumen am Sicherungsriegel, über Kimme und Korn und spürte plötzlich das vertraute Gefühl von Macht und Unbesiegbarkeit, das einen erfasst, wenn man einen Millimeter davon entfernt ist, einen x-Beliebigen zu töten.
Gute zehn Sekunden blieb ich so stehen, bis der Rausch verebbt war und einem tiefer gehenden Gefühl der Abscheu Platz machte.
Vorsichtig ließ ich den Hahn wieder einschnappen und steckte die Pistole dorthin zurück, wo ich sie gefunden hatte. Dann öffnete ich das Fenster und starrte in die Nacht hinaus und fragte mich, was aus mir geworden war.
Macho-Posen mit geladenen Waffen in einem heruntergekommenen Hotel in einer weit abgelegenen Stadt zu vollführen, ehe ich mich aufmachte und für fremde Leute einen Mord beging. Plötzlich überkam mich das Bedürfnis, nach Luang Prabang zurückzukehren und von meinem Balkon aus den Sonnenuntergang über dem Mekong zu verfolgen. Drei Jahre lebte ich nun schon dort, als stiller
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