Erlöst mich: Thriller (German Edition)
Morgen an. Durch die noch ausgestorbenen Seitenstraßen schlich ich zurück zum Hostal.
Ein ziemlich beschissenes Gewerbe, das ich da ausübte.
15
Als O’Riordan nicht abnahm, hinterließ Tina eine Nachricht mit der Bitte um dringenden Rückruf.
Dann rief sie die 24-Stunden-Nummer der Manila Post an und bekam nach einigem Hin und Her von dem jungen Reporter, der ihren Anruf entgegengenommen hatte, O’Riordans Festnetznummer, obwohl sie ihm keine Story anbieten konnte. Doch auch da nahm O’Riordan nicht ab, obwohl Tina es endlos klingeln ließ.
Sie sagte sich, dass es wahrscheinlich eine einfache Erklärung geben würde, warum sie ihn nicht erreichen konnte, doch angesichts der Ereignisse der letzten achtundvierzig Stunden war sie paranoid genug, alle englischen Webseiten aufzurufen, die Informationen über die Philippinen bereithielten, und sie nach einer Meldung über seinen Tod zu durchsuchen. Denn sie musste O’Riordan unbedingt sprechen. Er war der Schlüssel, nicht nur zu Pennys Tod, sondern auch um endlich den Mann zur Strecke zu bringen, den sie seit so langer Zeit verfolgte. Die Verbindung, die sie zwischen Paul Wise und Nick hergestellt hatte, war zwar noch vage und würde jeder Menge Nachforschungen bedürfen, aber sie war Paul Wise’ Achillesferse. Warum sonst hätte er Nick ermorden lassen?
Tina wusste, was sie zu tun hatte. Ein kühner Schachzug,
sicher, manche hätten ihn sogar tollkühn genannt, doch sie hatte schon immer impulsiv gehandelt. In der Vergangenheit hatte sich dies sowohl als Stärke als auch als Schwäche erwiesen und sie öfter beinahe das Leben gekostet. Aber endlich hatte sie eine Spur. Und sie schuldete es ihnen, Paul Wise zu bezwingen. Schuldete es allen seinen Opfern, John Gallan eingeschlossen, dem Mann, den sie geliebt hatte und an den sie auch sechs Jahre danach noch immer viel zu oft dachte.
Zehn Minuten später hatte sie auf dem Computer ihres Vaters einen neuen sicheren Hotmail-Account angelegt, über den sie E-Mails schicken und empfangen konnte, ohne dass man sie zurückverfolgen konnte, und weitere zehn Minuten später tat sie, was sie tun musste.
Sie stand vom Schreibtisch ihres Vaters auf und atmete tief durch. Sie fühlte sich ein wenig steif, bewegte den Nacken und ging nach draußen, um zu rauchen. Es war fast elf, die Luft war kalt und feucht, und sie stellte sich auf die Veranda und bewunderte den sorgfältig gepflegten Rasen, auf dem sie als Kind so oft gespielt hatte. Eine schöne Zeit und mittlerweile fast vergessen. Sie war ein glückliches, fröhliches Kind gewesen, das in einer stabilen, glücklichen Familie aufwuchs. Sie hatte stets hervorragende Noten nach Hause gebracht und allenfalls milde Symptome von Teenager-Rebellion gezeigt; ab und an geraucht und sich einmal, als sie noch minderjährig war, auf ein sexuelles Abenteuer eingelassen, das prompt furchtbar schieflief. Danach war sie zur Universität gegangen, und anschließend hatte sie ein Jahr mit dem Rucksack Asien und Australien bereist. Damals lag ihr die Welt zu Füßen. Die Wirtschaft brummte, es gab jede Menge Jobs,
die gute Einkommen versprachen. Sie hätte alles werden können.
Trotzdem entschied sie sich, zur Polizei zu gehen. Ihre Eltern waren geschockt. Das war nicht das, was sie sich für ihre intelligente und attraktive Tochter erhofft hatten, doch Tina hatte ihre Bedenken beiseitegewischt. Sie wollte nicht bloß in einem Büro arbeiten. Sie wollte einen abwechslungsreichen Job, bei dem sie Gelegenheit hatte, etwas wirklich Nützliches zu tun. Einen, der dazu auch Aufregung verhieß.
Zumindest von Letzterem hatte sie mehr als genug bekommen.
Sie ließ noch einmal kurz die Ereignisse des Abends Revue passieren, dachte an die Sekunden, die sie in der Badewanne gelegen und gegen das Ertrinken gekämpft hatte und nur Augenblicke davon entfernt war, das Bewusstsein zu verlieren und zu sterben.
Die Verandatür ging auf, und sie fuhr herum. Ihre Mutter kam heraus, bettfertig im Morgenmantel.
»Ist alles in Ordnung, Tina?«, fragte sie verunsichert.
Tina nickte und lächelte ihrer Mutter aufmunternd zu.
»Mir geht’s gut. Du hast mich nur erschreckt.«
»Ich wollte gute Nacht sagen. Dein Vater und ich wollten dich auch fragen, ob du am Sonntag zum Mittagessen bleiben möchtest? Wir könnten Phil und Wendy und die Kinder einladen und ein richtiges Familienessen veranstalten.«
»Tut mir leid, Ma, aber ich muss morgen früh weg. Ich habe einen Urlaub gebucht.«
Ihre
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