Erlöst mich: Thriller (German Edition)
sodass ich mich unwillkürlich fragte, wie sie wohl im Bett sein mochte. Sie hatte sich leicht von der Kamera abgewandt und schien auf etwas konzentriert. Ganz eindeutig merkte sie nicht, wie sie fotografiert wurde. Trotzdem war die Aufnahme ausgezeichnet, und ich würde keine Schwierigkeiten haben, sie wiederzuerkennen – besonders nicht mit dieser Frisur.
Ich schloss den Anhang und überflog Schagels Mail. Die Frau hieß Tina Boyd und wurde morgen in Manila erwartet, über den Flug lagen noch keine konkreten Angaben vor. Sobald er Flugnummer und Ankunftszeit hatte, würde
er sich melden. Ich sollte sie am Flughafen erwarten und ihr zu ihrem Bestimmungsort folgen. AUF KEINEN FALL (Schagels Großbuchstaben, nicht meine) dürfe ich sie aus den Augen verlieren. Weitere Instruktionen würden folgen. Die Mail endete mit der Aufforderung, sie und den Anhang zu löschen.
Ich tat wie geheißen, blieb aber am PC sitzen. Tina Boyd. Das Foto sagte mir nichts, doch der Name kam mir bekannt vor. Ich hatte ihn schon mal gehört. Vor langer, langer Zeit.
Dann zuckte ich zusammen, denn ich erinnerte mich, wann und wo. Vor sechs Jahren an einem kalten Winterabend in London. Das letzte Mal, als ich dort war. Und ich erinnerte mich nur zu gut an den Anlass.
Eine Londoner Ermittlerin – Detective Sergeant, wenn ich mich recht entsann – war also unterwegs nach Manila, und ihre Reise hatte offenbar die falschen Leute aufgeschreckt. Ich gab ihren Rang und Namen ein, stellte zuerst fest, dass sie zum DI befördert worden war, und scrollte mich durch die nicht gerade wenigen Artikel, die sofort aufploppten.
Meine Stunde war fast um, als ich endlich aufstand. Ich hatte einiges über Tina Boyds kontroverse, gelegentlich todesverachtende Karriere in Erfahrung gebracht, aber immer noch keine Ahnung, warum sie sterben sollte oder welcher Art ihre Verbindung zu Patrick O’Riordan war.
Doch ich war unheimlich neugierig darauf, es herauszufinden.
19
Omar Salic brauchte die Belohnung, die dieser Mann von der Manila Post, Pat O’Riordan, ihm zugesichert hatte. Dringend. Denn damit könnte er mit Soraya endlich Manila verlassen und das Zimmermannsgeschäft aufziehen, von dem er zu Hause in Mindanao so lange geträumt hatte. So würde er auch dem üblen Einfluss der Männer entkommen, mit denen er zuletzt zusammengearbeitet und die er anfangs für seine Freunde gehalten hatte, die sich aber in Teufel verwandelt hatten. Wenn er mit ihnen weitermachte, würde er, daran hatte er nicht die geringsten Zweifel, bald tot sein, und Soraya, die schöne Soraya, würde mit ihrem ungeborenen Baby alleine dastehen. Ein Baby, das Omar dann nie zu Gesicht bekommen würde.
O’Riordan hatte versprochen, Omars Flucht zu unterstützen, war aber nicht zu ihrem Treffen erschienen, genauso wenig wie der andere, der Amerikaner, den er Cheeseman nannte. Omar hatte O’Riordans Anweisungen befolgt und nichts aufgeschrieben, sondern alles bis ins Detail auswendig gelernt. Mehr als zwei Stunden hatte er am vereinbarten Treffpunkt auf ihn und Cheeseman gewartet, ehe er widerstrebend aufbrach.
Der Heimweg war eine der schmerzhaftesten Erfahrungen seines Lebens. Alle fünf Minuten versuchte er,
O’Riordan über dessen Handy zu erreichen, der Reporter hatte ihm versichert, unter dieser Nummer Tag und Nacht erreichbar zu sein. Doch jedes Mal hatte er sofort die Mailbox dran. Omar hatte keine Nachrichten hinterlassen. Welchen Sinn hätte das auch ergeben? O’Riordan, der Mann, der die Dinge für Soraya und ihn zum Besseren hatte wenden sollen, hatte ihn aufgegeben, obwohl Omar sicher war, dass seine Information Tausende, vielleicht sogar Millionen Dollar wert war. Und nun lief ihm die Zeit davon, jemand anderen zu finden, der bereit war, dafür zu zahlen. Und wenn ihm diese Chance entglitt, und danach sah es im Augenblick aus, würde er sicher keine zweite erhalten.
Es war Viertel vor sechs, als Omar den schäbigen Apartmentkomplex im Tondo-Viertel erreichte, hinter dem langsam die smogverhangene Sonne unterging. Hier hatten Soraya und er die letzten drei Jahre gelebt und versucht, der Stadt, die sie beide verabscheuten, ein Leben abzutrotzen. Während er mit dem Aufzug nach oben fuhr, schwor er sich, nicht aufzugeben und jemanden zu finden, dem er seine Information verkaufen konnte. Er zwang sich, fröhlich zu wirken. Er wollte Soraya nicht beunruhigen. Nicht in ihrem Zustand. Sie ahnte nichts von seinem Doppelleben, nichts von dem geplanten Treffen mit
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