Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischer Claus Cornelius
Vom Netzwerk:
eingeteilt. Sie ließ sich seine Privatnummer geben. Als er ihren Anruf entgegennahm, fragte sie: »Bruno, hast du heute Morgen die Polizei in die Benno-Ohnesorg-Straße geschickt? Wegen der Frau mit der starken Blutung – «
    Â»Ich weiß«, sagte der Disponent nach einer kurzen Pause, in der sie im Hintergrund ein Kind schreien hörte. »Nein, ich – ich glaube nicht.«
    Â»Warum nicht?«
    Â»Das habe ich vollkommen verschwitzt. Tut mir leid, Ella, ich bin einfach nicht dazu gekommen.«
    Â»Kannst du es jetzt machen, bitte?«, sagte Ella.
    Â»Jetzt?«
    Â»Bitte, es ist sehr wichtig«, sagte Ella und dachte, wenn es die Leitstelle nicht war, dann war es vielleicht doch der Nachbar aus dem zweiten Stock. Sie dachte es, aber sie glaubte es nicht. »Danke, Bruno.« Mal sehen, was Max dazu sagt . Sie drückte die Taste mit seiner gespeicherten Nummer. Er meldete sich nicht. Das Freizeichen wiederholte sich, und jedes Mal kam es ihr lauter
vor, und nach einer Zeit wurde die Stille zwischen den Tönen lauter als die Töne selbst.
    Du kannst mit deinem Fuß doch nirgendwohin! Schläfst du noch, einen tiefen Wodka-und-Pillen-Schlaf?
    Aber dann fiel ihr ein, dass er eigentlich wach sein musste.
    Wir haben schon mit ihm gesprochen.

6
    Der Bus fuhr langsam, viel zu langsam. Die Straßen waren verstopft, der Feierabendverkehr staute sich an den Ampeln, den unvermeidlichen Baustellen. Der Bus fuhr und stand, fuhr weiter und stand wieder. Er steckte erst in der Rheinhardtstraße fest, danach in der Friedrichstraße. Ella drückte den Stopp -Knopf, aber der Fahrer öffnete die Tür nicht. Durch die staubigen Scheiben sah sie weiter vorn über den Dächern der stehenden Autos die in schwarzen Stahl gefasste Glashalle des S-Bahnhofs Friedrichstraße. Sie wollte raus aus dem Bus, und rein in den Zug, egal welche Linie, bis zum Hackeschen Markt war es nur eine Station. Der Bus setzte sich wieder in Bewegung, ruckweise rollte er vorwärts. Ella kniff die Augen zusammen gegen die Strahlen der jetzt schon tiefer stehenden Sonne, erst im Bus und dann endlich in einem S-Bahn-Waggon, Sonne am Himmel und auf der Spree und in den schmutzigen, mit Messern oder Schlüsseln zerkratzten Scheiben.
    Kaum angefahren, ratterte der Zug über die Museumsinsel und hielt gleich darauf schon wieder an der nächsten Station. Ella drängte sich aus dem Waggon und lief den Bahnsteig entlang zum Ausgang Spandauer Brücke und die Treppe hinunter. Unten geriet sie in den Trubel des Hackeschen Markts, zwischen Passanten, Straßenkünstler, tobende Kinder, Bettlerinnen in Zigeunerkleidern, Kellner, Models und Hunde. Sie rannte über den Platz, vorbei an den Tischen vor den Lokalen, den
Auslagen der Geschäfte in den Arkaden unter dem Bahnhof, alles war ihr im Weg, behinderte sie, ging zu langsam.
    Endlich erreichte sie die Ecke, von der aus sie Max’ Haus sehen konnte. Ihr Blick flog zu den Fenstern seiner Wohnung hoch. Nichts war anders als sonst. Trotzdem wuchs das Gefühl der Beklemmung, das ihr die Luft abzuschnüren schien. In dieser Straße gab es keine Sonnenanbeter, keine Bettler, keine Models oder schwulen Modemacher, auch keine Galerien, Coffeeshops und Werbeagenturen. Ella klingelte, aber der Türöffner blieb stumm. Sie drückte alle anderen Klingelknöpfe hintereinander, und wenig später summte der Schnapper; irgendjemand machte immer auf. Sie stürmte in das kühle, von Zwielicht erfüllte Treppenhaus. Sie presste den Daumen auf den Fahrstuhlknopf, und als der Lift sich ratternd in Bewegung setzte, konnte sie hören, dass er noch ganz oben war. Sie lief die Treppe hoch, das ging schneller. Sie nahm zwei Stufen auf einmal, dann drei, und als sie auf dem vierten Stock ankam, fuhr die Liftkabine gerade vorbei. Die Stahlseile schlugen gegeneinander. Ella lief zu der Wohnung links vom Fahrstuhlschacht und klingelte. Sie konnte die Klingel hören und den Fahrstuhl, wie er unten im Parterre hielt. Sie hörte auch Musik und das Scheppern von Töpfen aus einer der oberen Etagen, aber in der Wohnung hörte sie nichts. Sie klingelte noch einmal.
    Vielleicht hat er sich schon hingelegt. Vielleicht liegt er im Bett, benommen von einer Schmerztablette und hört die Klingel nicht.
    Sie hämmerte mit der Faust gegen die Tür. »Max?! Max, mach auf, ich bin’s – Ella!« Sie presste ein Ohr gegen die Türfüllung,

Weitere Kostenlose Bücher