Ermittler in Weiß - Tote sagen aus
Ein Schusskanal ließ sich in der Halswirbelsäule und im Schädel verfolgen, in dessen Umgebung so genannte vitale Zeichen erkennbar waren. Das sind Veränderungen, die sich nur ausbilden, wenn die Verletzung zu Lebzeiten bei noch vorhandener Kreislauffunktion entsteht. Der Schuss war der Frau also zu Lebzeiten beigebracht worden und hatte das Rückenmark im Halsbereich durchtrennt. Im Schädel ließ sich der Schusskanal noch ein Stück weiter in Richtung hintere Rachenwand verfolgen. Dann kam aber ein Bezirk, in dem das Gewebe so massiv zerstört war, dass nichts mehr zu erkennen war. Ein Projektil fand sich nicht. Meine Schlussfolgerung lautete: Der Getöteten war vor dem Überfahren mit einer Kleinkaliberwaffe in den Nacken geschossen worden. Dadurch wurde das Halsmark durchtrennt, was zu einer sofortigen Lähmung des Körpers geführt haben musste. Danach wurde sie - noch lebend - auf die Schienen gelegt und erst dann überfahren, denn einige der eindeutig durch das Überfahren verursachten Verletzungen wiesen ebenfalls die genannten vitalen Zeichen auf. Dass sie zu diesem Zeitpunkt schon bewusstlos war, ist zwar wahrscheinlich, aber nicht ganz sicher. Denn durch die völlige Querschnittslähmung infolge der Zerstörung des Halsmarks ist sie ja auch bewegungslos gewesen. Es handelte sich also nicht um einen Unfall oder Selbstmord, sondern eindeutig um einen Mord. Noch bevor die Sektion abgeschlossen war, wurden wir über die Festnahme des mutmaßlichen Täters und über die Identifizierung der Toten informiert. Der Vater des Täters hatte diesen zur Polizei gebracht und angezeigt, weil er vermutete, dass er seine Schwiegertochter ermordet habe. Nach anfänglichem Leugnen gab der junge Mann zu, seine Frau angeschossen und anschließend auf die Schienen gelegt zu haben. In einer ersten Version erklärte er, dass er seiner Frau die Schusswaffe nur zeigen wollte. Dabei habe sich der Schuss gelöst und seine Frau in den Nacken getroffen. Sie sei wie vom Blitz getroffen zusammengebrochen. Da er geglaubt habe, dass sie tot sei, habe er sie aus Angst auf die Schienen gelegt, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Doch im Lauf der weiteren Vernehmung änderte er sein Geständnis ab und gab die Tötungsabsicht zu. Aus den Aussagen ließ sich folgendes Bild von der Vorgeschichte und dem Ablauf der Tat rekonstruieren: Lutz D. war seit drei Jahren verheiratet. Seine spätere Frau hatte er während eines Urlaubs kennen gelernt. Die Hochzeit erfolgte auf Drängen der Schwiegereltern, da die junge Frau ein Kind erwartete. Obwohl es sich nicht um eine Liebesheirat handelte, ging die Ehe anfangs recht gut. Finanzielle Sorgen hatte das junge Paar nicht, weil Lutz gut verdiente. Die Wohnung hatten die Eltern besorgt und so schien alles in bester Ordnung. Die junge Frau verwöhnte ihren Mann nach Kräften und las ihm, der ihr ganzer Lebensinhalt war, jeden Wunsch von den Augen ab. Was er sagte und was er tat, war immer richtig. Sie richtete sich in allem nach ihm und hatte selten einmal eine eigene Meinung. Anfangs gefiel sich Lutz durchaus in der Prinzenrolle. Aber nach einiger Zeit hatte er das einseitige Verhalten seiner Frau restlos satt. Sie war ihm viel zu ruhig. Er erwartete von seiner Partnerin eine eigene Meinung und sehnte sich nach Widerspruch. Ihn störte außerdem, dass sie niemals eigenen Interessen nachging. Aber nichts dergleichen geschah. Er blieb der Herr im Haus, hatte in allem das Sagen, während seine Frau darin aufging, ihm zu dienen und ihn zu umsorgen. Selbst wenn er sie provozierte oder beschimpfte, gab sie ihm recht und fand sich mit allen Beleidigungen ab. Allerdings neigte sie nach Meinung ihres Mannes zu Depressionen. Im Laufe der Zeit wurde Lutz der geradezu sklavischen Haltung seiner Frau so überdrüssig, dass er an eine Trennung dachte. Er erkundigte sich bei einem Rechtsanwalt nach den Möglichkeiten einer Scheidung, nahm aber von einer solchen Lösung Abstand, weil ihm die Kosten für das Scheidungsverfahren zu hoch waren. Deshalb suchte er in Beziehungen mit anderen Frauen Befriedigung. Obwohl er in dieser Zeit mehrere intime Verhältnisse hatte, von denen seine Frau auch wusste, machte sie ihm keine Vorwürfe. »Sie war dann immer nur sehr ruhig und sehr traurig«, kommentierte Lutz D. später. Allmählich steigerte sich sein Überdruss zum Hass, sodass ihm eine Trennung unabweisbar erschien. Da für eine Scheidung aber handfeste Gründe notwendig waren, er solche jedoch nicht hatte, suchte er nach
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