Ernest Hemingway
hinunter und werde für ihn beten. Armer Cayetano, er hat entsetzliches auszustehen, und er gibt keinen Laut von sich. Warum sie ihn wohl totschießen wollten? Ach, der arme Cayetano! Ich gehe jetzt sofort hinunter und werde für ihn beten.»
Sie ging sofort hinunter und betete für ihn.
In jenem Krankenhaus funktionierte das Radio nicht recht, ehe die Dämmerung einbrach. Man sagte, es käme davon, daß soviel Erz im Boden wäre, oder irgend etwas, das mit den Bergen zusammenhing, aber wie dem auch war, es funktionierte überhaupt nicht ordentlich, bis es draußen dunkel wurde, aber die ganze Nacht hindurch funktionierte es großartig, und wenn eine Station Schluß machte, konnte man weiter westlich gehen und eine andere Sendung bekommen. Die letzte, die man bekommen konnte, war Seattle, Washington, und durch den Zeitunterschied war es, wenn die um vier Uhr früh aufhörte, fünf Uhr im Krankenhaus, und um sechs Uhr konnte man die Frühmusikanten in Minneapolis bekommen. Das kam auch durch den Zeitunterschied, und Mr. Frazer pflegte sich immer wieder gern die Frühmusikanten vorzustellen, wie sie im Senderaum ankamen, und er malte sich aus, wie sie aussahen, wenn sie am Morgen vor Tageslicht aus der Straßenbahn stiegen und ihre Instrumente trugen. Möglicherweise stimmte das nicht, und sie bewahrten ihre Instrumente an dem Ort auf, wo sie spielten, aber er malte sie sich immer mit ihren Instrumenten aus. Er war nie in Minneapolis gewesen, und er war ziemlich sicher, daß er niemals dorthin kommen würde, aber er wußte, wie es so früh am Morgen aussah.
Von dem Fenster des Krankenhauses konnte man einen kahlen Lehmhügel und ein Feld sehen, auf dem Unkraut aus dem Schnee ragte. Eines Morgens wollte der Arzt Mr. Frazer zwei Fasanen zeigen, die dort draußen im Schnee waren, und während er das Bett zum Fenster zog, fiel die Leselampe von der eisernen Bettstelle herunter und traf Mr. Frazers Kopf. Das klingt jetzt nicht so komisch, aber damals war es sehr komisch. Alle blickten aus dem Fenster, und der Arzt, der ein ganz ausgezeichneter Arzt war, wies auf die Fasanen und zog das Bett zum Fenster, und dann fiel – genau wie im Witzblatt – der bleierne Lampenfuß Mr. Frazer direkt auf den Kopf und schlug ihn k. o. Es schien die Antithese von Heilen, oder wofür immer Leute im Krankenhaus waren, und alle fanden es sehr komisch – ein Witz auf Kosten des Arztes und Mr. Frazers. Alles ist in einem Krankenhaus viel simpler – die Komik inbegriffen.
Von dem anderen Fenster aus konnte man, wenn man das Bett umstellte, die Stadt sehen mit ein wenig Rauch darüber und den Dawson Mountains, die unter dem Winterschnee, der auf ihnen lag, wie richtige Berge aussahen. Das waren die beiden Aussichten, da sich der Rollstuhl als verfrüht erwiesen hatte. Wenn man im Krankenhaus ist, ist man am besten im Bett aufgehoben; denn zwei Aussichten, mit genügend Zeit, um sie zu betrachten, von einem Zimmer aus, dessen Temperatur man regulieren kann, sind viel besser als eine Unzahl von Aussichten, die man ein paar Minuten lang aus heißen, leeren Zimmern sieht, die auf jemand anderes warten, oder die gerade verlassen worden sind, wo man hinein-und hinausgerollt wird. Wenn man lange genug in einem Zimmer bleibt, gewinnt jede beliebige Aussicht große Bedeutung und wird sehr wichtig, und man würde sie nicht ändern wollen – selbst nicht um Winkelgrade. Genau wie beim Radio, wo es gewisse Dinge gibt, die man liebgewinnt und auf die man sich freut, während man alles Neue übelnimmt. Die besten Melodien, die es in jenem Winter gab, waren Sing etwas Sanftes, Singsangmädchen und Kleine unschuldige Lügen. Mr. Frazer fand, daß keine anderen Melodien so wohltuend waren wie diese. Betty funkte war auch eine gute Melodie, aber die Parodie auf diese Worte, die Mr. Frazer unvermeidlich in den Sinn kam, wurde von Tag zu Tag unanständiger, und da niemand da war, um es zu würdigen, gab er es schließlich auf und drehte von dem Lied zum Football zurück.
Gegen neun Uhr früh begann man den Röntgenapparat zu benutzen, und dann wurde das Radio, auf dem man jetzt nur noch Hailey bekommen konnte, unbrauchbar. Viele Leute in Hailey, die Radios besaßen, schimpften über den Röntgenapparat des Krankenhauses, der den Morgenempfang störte, aber keiner ging gerichtlich dagegen vor, obschon viele es unerhört fanden, daß das Krankenhaus seinen Apparat nicht zu einer Zeit benutzte, in der die Leute ihre Radios nicht benutzten. Ungefähr um die
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