Erntemord
Empfindungen sie weit jenseits der letzten Momente des Opfers und direkt in das verdrehte Bewusstsein eines Killers geführt.
„Was hast du gefühlt?“, drängte Joe.
„Okay, logisch betrachtet, sieht meine Theorie wie folgt aus: Er entführt sein Opfer. Er hat einen Ort, wo er sie hinbringt, einen Ort, an dem er sie gefangen halten kann, ohne Angst haben zu müssen, gesehen zu werden. Ich bezweifle, dass dieser Ort in der Stadt ist, außer er hat einen schalldichten Raum. Und ich habe ein Gefühl von Dunkelheit. Als ob er die Dunkelheit als Strategie einsetzt, um seinen Opfern Angst einzujagen. Er hält sie am Leben, macht sie zu seinem Spielzeug, außer …“
„Außer?“ Joes Hände lagen auf ihrer Schulter, er starrte sie eindringlich an.
Sie sah zu ihm auf. Sein Griff war so fest, dass sie fast protestiert hätte, weil er ihr blaue Flecken zufügte. Er war ein starker Mann und verbrachte noch immer viel Zeit beim Krafttraining, dessen Folgen sie nun zu spüren bekam. Doch er war so begierig und schien so verzweifelt, dass sie es sich verkniff.
„Außer dass sie das Spiel auf seine Weise spielen muss. Sie muss Angst haben, aber … sie muss begreifen, dass er allmächtig ist. Sie muss ihn anbeten. Und wenn sie etwas gegen ihn tut, wenn sie versucht zu entkommen, dann muss sie den Preis dafür zahlen.“
Seine Finger spannten sich erneut an.
„Ro, kannst du ihn sehen? Denk nach, Rowenna. Konzentrier dich. Kannst du sein Gesicht sehen?“
Da war ein Bild in ihrem Geist. Etwas …
„Ro?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich kann sein Gesicht nicht sehen. Weißt du, was ich sehe? Eine von diesen hässlichen Teufelsmasken, die Adam und Eve verkaufen.“ Sie verzog dasGesicht, als seine Finger noch fester zudrückten. „Joe, lass los. Du tust mir weh.“
Bei dem plötzlichen Hupen eines Autos zuckten beide zusammen. Joe ließ sie mit einem entschuldigenden Blick los und trat zurück. Sie hörten eine Wagentür zuschlagen. Wenige Sekunden später marschierte Jeremy durch den Mais auf sie zu, ohne die Halme zu beachten, durch die er sich auf dem Weg zu ihnen zwängte.
Seine Miene war angespannt vor Sorge, als er gut einen Meter vor ihnen anhielt und Rowenna anstarrte. Sie bemerkte, dass seine Hände zu Fäusten geballt waren.
„Jeremy“, begrüßte sie ihn. „Hallo.“
„Was zum Teufel tust du hier draußen?“, wollte er wissen.
„Sie ist mit mir hier“, sagte Joe.
„Du solltest beim Museum sein“, sagte Jeremy anklagend und ignorierte den älteren Mann völlig. „Ich konnte es nicht glauben, als Dan sagte, dass du hier draußen wärst.“
„Ich sagte, sie ist mit mir hier“, wiederholte Joe.
„Du bist nicht sicher, wenn du hier draußen in den Maisfeldern rumläufst“, regte sich Jeremy auf. „Du sagtest, du würdest im Museum warten.“
„Jeremy. Ich bin mit Joe hier“, sagte sie besänftigend und fragte sich, wo seine Wut herkam.
Er wandte sich mit blitzenden Augen von ihr zu Joe, als nehme er ihn zum ersten Mal wahr.
„Warum haben Sie sie hier rausgebracht?“, wollte er wissen.
„Hey, regen Sie sich ab. Ich bin hier zu Hause, dies ist mein Revier. Ich vertrete das Gesetz, und Ro ist hier, um mir zu helfen. Ich kenne sie praktisch ihr ganzes Leben lang – und Sie sind erst seit Kurzem mit ihr befreundet. Oder was auch immer“, fügte er finster hinzu. „Also rasten Sie hier nicht aus, mein Sohn. Wenn irgendjemand hier nicht hingehört, dann sind Sie es.“Jeremy gab nicht klein bei. Er stand breitbeinig da, die Arme vor der Brust verschränkt. „Es ist schon fast Abend. Sie mögen ein großer starker Polizist sein und vielleicht ein Superschütze, aber wenn es hier erst einmal dunkel wird … Joe, dieser Killer ist ein cleverer Typ, vielleicht sogar ein Magier. Polizist oder nicht, Rowenna ist nicht sicher hier draußen.“
„Es ist helllichter Tag“, entgegnete Joe.
„Es ist halb vier Uhr, und die Dämmerung kommt früh.“
„Entschuldigt mich, alle beide“, schnappte Rowenna und ging an Joe vorbei, um sich vor Jeremy aufzubauen. „Ich wollte gerade zurück zum Museum. Ich hätte dich dort getroffen, wie geplant. Joe und ich machen diese Art von Arbeit schon lange. Und übrigens, er ist ein Superschütze.“
„Superschütze – oder Superspinner?“, ereiferte sich Jeremy und sah an ihr vorbei zu Joe. „Sie dürfen sie nicht auf diese Art benutzen – es ist gefährlich. Sie werden den Mörder glauben machen, dass sie wirklich Dinge sieht. Und
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