EROBERT VON EINEM ITALIENISCHEN GRAFEN
genügend Schocks erhalten. Bestimmt sah Signora Vicente ein, dass ihr Plan, den Sohn zu verheiraten, gescheitert war. Deshalb mussten Paolo und Laura nicht länger riskieren aufzufliegen.
Paolo sollte Laura von der Villa Diana wegbringen – oder vor allem von deren Besitzer. Trotz der Hitze erschauerteLaura plötzlich. Ihr fiel ein, wie sehr sie sich auf dem Weg zu ihrem Zimmer gewünscht hatte, nicht Guillermo würde sie begleiten, sondern der conte.
Bin ich denn völlig verrückt?, fragte sie sich verzweifelt. Nach nur wenigen Stunden in seiner Gesellschaft war sie sich seiner Gegenwart, seiner männlichen Ausstrahlung überdeutlich bewusst.
Manchmal war er nicht nur höflich gewesen, sondern richtig freundlich – vielleicht nur, um die Grobheit seiner Tante wettzumachen? Wenn Laura sich etwas anderes einbildete, war sie doch nur eine Närrin.
Conte Alessio Ramontella stand sozusagen mitten im Sonnenglanz, während Laura auf einem kleinen kalten Planeten am äußersten Rand der Galaxie lebte. Es war einfach ein unglücklicher Zufall, dass ihre Wege sich gekreuzt hatten.
Sie schloss die Augen und versuchte, nicht an sein Lächeln zu denken, das den eher strengen Mund humorvoll und charmant wirken ließ. Wie warm sich seine Lippen auf ihrer Hand angefühlt hatten, das sollte Laura besser auch vergessen. Die flüchtige Berührung hatte sie bis ins Mark erschüttert.
Wenn Steves Küsse auch nur einen Bruchteil dieser erotischen Kraft besessen hätten, wäre er zurzeit vermutlich ein glücklicher Mann. Und Paolo hätte sich eine andere Partnerin für seine Scharade aussuchen müssen, dachte Laura spöttisch.
Sie musste weg hier, so bald wie möglich! Bestimmt wäre Paolo einverstanden, da er ja ohnehin nicht nach Umbrien hatte kommen wollen.
Am folgenden Tag herrschte herrliches Wetter. Schon früh schien die Sonne und vertrieb den Dunstschleier, der um die Berggipfel lagerte.
Laura hatte sich am Vorabend den Weg zum Haupttrakt des Hauses gemerkt und fand problemlos das Esszimmer. Doch weder traf sie dort jemanden an, noch war der Tisch gedeckt. Vielleicht frühstückte man in Italien erst spät?
Zurück in der Eingangshalle wurde Laura von Emilia begrüßt, die sie auf die Terrasse führte. Da fand sie, zu ihrer Bestürzung, Alessio vor, der am weiß gedeckten Tisch saß. Daneben stand im Schatten ein Servierwagen, auf dem eine Platte Schinken, mehrere Sorten Käse und eine Schüssel Obst sowie ein Korb mit Brötchen angerichtet waren.
„ Buon giorno“, begrüßte Alessio Laura und legte die Zeitung weg. „Haben Sie gut geschlafen?“
„Ja, danke.“ Zögernd setzte sie sich auf den Platz, auf den er wies, und betrachtete stirnrunzelnd den Tisch. „Nur zwei Gedecke? Wo sind denn Paolo und seine Mutter?“
„Sie frühstücken auf ihren Zimmern. Meine Tante hat es lieber so, und Paolo ist zu krank, um aufzustehen.“
„Zu krank?“, wiederholte sie und nahm das Glas Pfirsichsaft, das er ihr eingegossen hatte.
„Ja, seine Erkältung hat sich verschlimmert. Tante Lucrezia ist sehr besorgt. Alle Zitronen, die wir im Haus haben, werden zu heißen Getränken verarbeitet, und alles Aspirin wurde ebenfalls von ihr beschlagnahmt.“
Laura wurde immer bestürzter. Mit dieser Entwicklung hatte sie nicht gerechnet. „Vielleicht sollte ich zu ihm gehen?“, überlegte sie laut. „Mich erkundigen, wie es ihm geht und ob ich etwas für ihn tun kann?“
„Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf“, begann Alessio lässig. „Kommen Sie niemals zwischen eine Bärin und ihre Jungen, auch nicht zwischen eine Löwin und ihre Babys – oder meine Tante Lucrezia und Paolo. Bleiben Sie lieber hier. Das ist sicherer.“ Er stand auf und ging zum Servierwagen. „Darf ich Ihnen etwas Schinken bringen?“
„Ja, gern. Danke.“ Als er den Teller vor sie stellte, meinte sie: „Vielleicht fühlt Paolo sich später besser und kann aufstehen. Wir wollten doch Ausflüge machen.“
„In absehbarer Zukunft wird mein Cousin nirgendwo hinfahren“, sagte Alessio ruhig. „Außer mit der Ambulanz ins nächste Krankenhaus womöglich“, fügte er ziemlich sarkastisch hinzu.
„Er hat doch nur eine Erkältung. Die ist wohl kaum tödlich.“
„Das sollten Sie in Hörweite von Tante Lucrezia lieber nicht behaupten“, riet er ihr. „Obwohl wir sie wahrscheinlich auch nur noch selten zu Gesicht bekommen werden. Sie ist vollauf mit der Pflege des armen Kranken beschäftigt.“
Laura trank den Saft aus und stellte das Glas ab.
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