EROBERT VON EINEM ITALIENISCHEN GRAFEN
nicht seine Geliebte, die ihm angeblich sogar als Modell für die Sixtinische Madonna gedient hat.“
„Oh! Das wäre ja ein Sakrileg.“ Laura entspannte sich und lächelte.
„Oder, wie ich finde, ein Beweis großer Leidenschaft.“ Alessio zuckte die Schultern. „Jedenfalls ist unser Bild auch sehr schön und als solches bewundernswert.“ Er trank den Espresso und stand auf. „Soll ich die Karten für Sie einwerfen, bevor wir die Besichtigungstour machen?“
„Sie brauchen sich nicht um mich zu kümmern“, wehrte sie ab. „Ich kann mich ja hier nicht verlaufen. Und Sie haben doch sicher Besseres zu tun.“
„Vielleicht. Aber heute möchte ich mich ganz Ihnen widmen.“ Alessio lächelte strahlend. „Oder hatten Sie schon geglaubt, ich hätte Sie vergessen?“
„Ich … ich habe gar nichts gedacht“, erwiderte sie schnell.
„Jetzt bin ich enttäuscht“, erklärte er wie nebenbei. „Ich hatte gehofft, dass Sie mich ein bisschen vermissen.“
„Darf ich Sie an etwas erinnern?“ Laura reckte das Kinn. „Ich bin mit Ihrem Cousin hier.“
„Und das kann man nur allzu leicht vergessen, bella mia“, konterte er leise.
In der Kirche war es dämmrig, und es duftete nach Weihrauch. Nach der Hitze draußen wirkte der hohe Raum angenehm kühl.
Laura hatte alle Gassen besichtigt, die vom Hauptplatz abzweigten und so eng waren, dass die Anwohner sich aus dem Fenster hätten lehnen und dem Nachbar gegenüber die Hand schütteln können. Vor nahezu jedem Fenster blühten üppig Blumen und verstärkten den Charme des Orts.
„Wie gefällt Ihnen meine Stadt?“, hatte Alessio gefragt, als sie sich vor dem Besuch der Kirche an einem Trinkbrunnen erfrischten.
„Sie ist einfach bezaubernd“, hatte Laura aufrichtig geantwortet und insgeheim über das besitzanzeigende Fürwort gelächelt. „Ein echtes Juwel.“
„Ja“, stimmte er zu. „Und nun zeige ich Ihnen einen weiteren Schatz.“
Schweigend betraten sie die Kirche und gingen zum Altar, der vor Blattgold nur so strotzte. Darüber hing das Bild, dessen Farben wie von innen her zu leuchten schienen. Die Madonna hatte offenes langes Haar und wirkte sehr jung. Stolz hielt sie das Kind auf dem Arm und sah fast herausfordernd aus.
Laura atmete tief ein und streckte unwillkürlich die Hand nach Alessio aus. „Das Bild ist wunderschön.“
„Ja.“ Sanft umfasste er ihre Finger. „Ich bin auch jedes Mal überwältigt, wenn ich es sehe.“
Still betrachteten sie das Gemälde noch einige Augenblicke, dann taten sie ein paar Schritte und bewunderten die Nebenaltäre, auf denen Kerzen brannten.
Erst draußen ließ Alessio Lauras Hand los.
Wahrscheinlich will der conte in „seiner“ Stadt nicht Hand in Hand mit einer Frau gesehen werden, dachte sie. Jedenfalls nicht mit einer Frau wie mir.
Statt direkt zur Villa zurückzufahren, wie Laura erwartet hatte, nahm Alessio eine andere Route, die sie auf den der Villa gegenüberliegenden Bergrücken führte.
„Ich möchte Ihnen einen bestimmten Ausblick zeigen“, erklärte Alessio. „Und da man ihn von der Terrasse einer Trattoria aus hat, können wir dort auch gleich zu Mittag essen.“
In der Trattoria, einem wunderschön renovierten Bauernhaus, wurden sie herzlich und respektvoll zugleich empfangen. Eine junge Frau führte sie an den besten Tisch auf der lang gestreckten Terrasse unter dem Schatten spendenden Strohdach, brachte die Speisekarten und schlug einen Aperitif vor.
Kurz darauf lehnte Laura neben Alessio an der Balustrade,ein Glas Weißwein in der Hand, und blickte auf eine wahres Meer an Grün, in dem tief unten der Fluss wie ein blaues Band schimmerte und die Straße nur noch wie ein staubiger Faden wirkte. In der Ferne konnten sie den Glockenturm in Besavoro ausmachen, der sich über die roten Ziegeldächer erhob.
Die Felswände schienen in der Hitze zu flimmern, und auf dem gegenüberliegenden Hang konnte Laura hinter saftig grünen Bäumen Umrisse der Villa Diana erkennen.
„Diese Aussicht ist wirklich herrlich“, sagte sie leise. „Danke, dass Sie mich hierher gebracht haben.“
„Es ist mir ein Vergnügen“, erwiderte er. „Dieses Tal ist eine eigene kleine Welt – und bedeutet mir viel.“
„Sie leben in vielen verschiedenen Welten, stimmt’s?“
„Ja, und in manchen lieber als in anderen. Und wo ist Ihre Welt, Laura?“
„Oh, London, glaube ich. Jedenfalls fürs Erste. Schließlich arbeite ich dort“, antwortete sie steif.
„Na ja, aber Weinlokale gibt es
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