EROBERT VON EINEM ITALIENISCHEN GRAFEN
unwillkürlich verbotene Fantasien durch den Sinn gingen. „Trotzdem bleibe ich lieber bei meinen Zeiten“, fügte sie hinzu und merkte aufgebracht, dass sie heiß errötete.
Sie schwieg nun, bis sie vor der Villa anhielten. Nachdem Laura ausgestiegen war, bedankte sie sich bei Alessio für das Mittagessen. Ihr fiel selbst auf, dass sie dabei klang wie ein Schulmädchen, das sich von ihrem Lieblingsonkel verabschiedet. Anschließend ging Laura in ihr Zimmer, wobei sie versuchte, es nicht wie eine Flucht wirken zu lassen.
Da ihr heiß war, nahm sie eine kühle Dusche und legte sich danach im Bademantel aufs Bett. Doch Laura konnte sich nicht entspannen, weil ihr der Kopf von den Eindrücken des bisherigen Tags förmlich schwirrte.
Seltsam, wie Alessio so plötzlich aufgetaucht war. Und beunruhigend, wie sehr sie seine Gesellschaft genossen hatte. Als er angedeutet hatte, Laura würde etwas verbergen, hatte sie alarmiert auf jedes ihrer Worte geachtet. Er mochte es in poetische Bilder von Schleiern kleiden, letztlich hatte er damit nur angedeutet, dass er ihr auf der Spur sei.
Am Abend musste sie Paolo unbedingt warnen, dass sein Cousin Verdacht schöpfte. Die Besuche im Krankenzimmer wurden immer problematischer. Nicht nur dass Paolo von seiner Erkältung geradezu besessen schien, es fiel Laura generell schwer, mit ihm ein Gesprächsthema zu finden. Sie kannte Paolo ja kaum, und sie hatten auch nichts gemeinsam.
Ich wünschte, ich hätte mich nie auf diesen lächerlichen Plan eingelassen, dachte Laura seufzend. Dann wäre auch Conte Alessio Ramontella nichts weiter als ein Name auf dem Briefkopf der Arleschi Bank.
Aber wäre ihr das tatsächlich lieber gewesen? Ihr Leben gelebt zu haben ohne dieses gefährlich prickelnde Intermezzo?
Nein, gestand Laura sich ein, sie hätte keinen einzigen Moment des Zusammenseins mit ihm missen wollen. Doch nun wurde ihr die ganze Angelegenheit zu kompliziert. Deshalb tat Laura besser daran, nach Hause zu fahren. Abstand zwischen sich und ihn zu bringen war das einzig Sichere.
Alessio Ramontella würde ein Traum bleiben, eine Fantasie, mit der sie sich ab und zu ihr allzu alltägliches Leben verschönern konnte. Und irgendwann würde die Erinnerung völlig verblassen, als wäre nie etwas geschehen.
Dann kann ich wieder so weitermachen wie vorher, dachte Laura und stand auf. Da sie zu rastlos war, um Siesta zu halten, wollte sie Alessios Rat befolgen und das schöne Wetter noch nutzen, solange es andauerte.
Rasch zog sie den Badeanzug an und darüber, wie üblich, ein dünnes weißes Hemd, dann ging sie zum Pool.
Am Fuß der Treppe angekommen, stellte sie bestürzt fest, dass sie nicht allein sein würde: Auf einem Liegestuhl lag Alessio und las.
Er schien völlig ins Buch vertieft zu sein. Schon überlegte Laura, sich still und leise wieder zurückzuziehen, als er das Buch weglegte und geschmeidig aufstand. Lächelnd blickte er zu ihr.
„Sie sind ja doch noch gekommen“, sagte er leise.
„Ja. Hoffentlich störe ich Sie nicht.“
„Aber keineswegs!“ Er rückte den zweiten Liegestuhl in den Schatten des Sonnenschirms und breitete die Polster darauf aus.
„Danke“, sagte sie befangen. Die beiden Liegestühle standen, für ihr Empfinden, viel zu nah nebeneinander, aber es hätte albern gewirkt, deswegen Wirbel zu machen. Also setzte Laura sich und blickte, ein aufgesetztes Lächeln zur Schau stellend, zu Alessio hoch. „Lieber Himmel, es ist heißer denn je.“
„Ja.“ Er runzelte die Stirn, während er zu den Bergen blickte. „Fredo könnte mit den drohenden Unwettern recht haben.“
Sie bückte sich und hob das Buch auf, das zwischen die beiden Liegestühle gefallen war. Der Name „Francesco Petrarca“ stand in Goldbuchstaben auf dem Umschlag.
„Sie lesen noch mehr Gedichte über verschleierte Damen?“, fragte sie und reichte Alessio den Band. Zum Glück war Literatur ein unverfängliches Gesprächsthema.
„Ja, da gibt es noch viel zu entdecken. Petrarca hat zwanzig Jahre lang seine Laura in Sonetten verherrlicht.“
„Wie haben die beiden sich kennengelernt?“
„Er hat sie – in der Kirche – gesehen, und es war um ihn geschehen.“
„Und waren die beiden glücklich?“, wollte Laura wissen.
„Nicht zusammen. Sie gehörte doch schon einem anderen Mann.“
Sie setzte, bewusst umständlich, die Sonnenbrille auf. „Dann hätte er sich besser nicht erlaubt, sich in sie zu verlieben. Stimmt’s?“
„Vielleicht konnte er einfach nicht
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