Ersehnt
Stunden Ritt von hier - genau da.« Ihr langer, schlanker Finger zeigte auf eine auf Pergament gezeichnete Karte. »Hier können wir ihnen auflauern.« »Wer wird es tun? «, fragte einer der jüngeren Brüder. Der am ältesten wirkende Bruder (eigentlich unterschieden sie sich kaum) sagte: »Wir müssen es gemeinsam tun. Diavola wirft die Fackel und erschreckt die Pferde. Mazzo, du kümmerst dich um den Kutscher und die beiden Reiter. Erst die berittenen Wachen, dann den Kutscher. Michele, du über;nimmst die beiden Reiter der Nachhut. Dann sammeln wiruns an der Kutsche und -« Er presste die Hände zusammen und schwang die Arme in einem großen Halbkreis von rechts nach links, als hielte er ein Schwert.
Ich verstand. Sie wollten jemanden töten. Eine ganze Menge Leute.
Michele, der jüngste Bruder, nickte langsam. »Das ist ein guter Plan. Danach werden wir fünf gemeinsam herrschen wie die fünf Finger einer Hand.«
Da wurde mir alles klar: Diavola und ihre Brüder planten, ihre Eltern zu ermorden, um an ihre Macht zu kommen. Ihre eigenen Eltern.
Ich war sprachlos. Dann sah ich, wie Diavola und der älteste Bruder Benedetto einen Blick tauschten. Ich begriff sofort, was er zu bedeuten hatte: Diavola und Benedetto hatten einen anderen, geheimen Plan. Die beiden würden die drei jüngeren Brüder töten. Dann bestünde die Familie nur noch aus zwei Personen anstelle von fünf.
Es tat so weh, das alles mit anzusehen. Die fünf Unsterblichen vom Haus von Genua erinnerten mich an uns fünf vom Isländischen Haus. Ich fragte mich, was wohl passiert wäre, wenn meine Brüder und Schwestern mit mir aufgewachsen wären, ob wir dann aufeinander losgegangen wären wie Vipern. Hier geschah es bereits.
Also verschlang die ererbte Dunkelheit einen am Ende doch. Es gab kein Entrinnen und die Dunkelheit hatte Konsequenzen, mit denen man nicht leben konnte. Und die erst recht nicht vergeben werden konnten.
Ich atmete flach und hektisch - ich wollte diese Szene verlassen. Ich wollte nicht noch mehr von Rivers Untergang sehen.
River spürte es und holte uns langsam aus der Vision heraus. Als wir wieder normal atmeten und vollständig in die Realität zurückgekehrt waren, starrte ich River an, suchte nach Spuren von Grausamkeit in ihrem traurigen, gequälten Gesicht. Ich räusperte mich und es klang in dem stillen Raum unnatürlich laut. »Du ... du hast deine Eltern getötet?« Bitte streite es ab.
Mein Herz erzitterte, als River bedrückt nickte. »Ja.« Eine Seite ihres Mundes verzog sich zu einem bitteren Lächeln. »Tausend Jahre Therapie sind nicht genug.«
»Und du und Benedetto habt eure anderen Brüder getötet?« Moment - ich weiß noch, dass sie erzählt hat, dass sie vier Brüder hat. Immer noch hat. Nicht hatte.
»Nein, der Göttin sei Dank«, sagte River. Sie holte tief Luft und atmete aus, als könnte sie so die schmerzhafte Erinnerung loswerden. »Erstaunlicherweise haben wir das nicht getan. Es ist nicht geschehen in dieser Nacht - wie es eigentlich geplant war. Und bevor sich eine weitere Gelegenheit bot, wurde ich ... errettet.« Ihr Blick traf meinen und ein wenig Schmerz war aus ihren Augen verschwunden, als hätte sie sich daran erinnert, wer sie jetzt war, heute. Nicht vor tausend Jahren.
»Errettet? Dann ... hast du zu Gott gefunden?«
»Es gibt mehr als eine Art, gerettet zu werden.« Jetzt klang ihre Stimme fast wieder wie immer. Sie richtete sich auf und war wieder die alte River nur mit einem Hauch von Diavolas Schatten in den Augen. »Eine Lehrerin kam. Und wenn du glaubst, du wärst ein schwieriger Fall - nun. Ich war viel schlimmer. Aber sie ist zu mir durchgedrungen. Nach langer Zeit. Sie hat mich gerettet. Sie hat mich auf den Weg zum Licht geschickt. Mich alles über ... Wahlmöglichkeiten ge;lehrt. Und allmählich konnte ich auch meine Brüder über—zeugen.« Sie schaute auf. »Und jetzt unterrichte ich dich und andere. Manchmal denke ich, dass mir das hilft, das Schicksal zu bewältigen, das ich mir mit dem Mord an unseren Eltern aufgeladen habe. Und vielleicht wirst du eines Tages jemanden unterrichten und ihm deine Geschichte erzählen.«
Ich schnaubte reflexartig und verzog schmerzerfüllt das Gesicht.
»Und du verstehst dich heute gut mit deinen Brüdern? «, wollze ich wissen.
»Mehr als das. Wir teilen dasselbe Blut, dieselbe Geschichte.« »Haben sie dir vergeben, dass du sie töten wolltest?« River
Weitere Kostenlose Bücher