Ersehnt
wenn Reyn etwas zu meinem Aussehen gesagt hatte, war es kein Kompliment gewesen.
»Natürlich.« Incy war fast beleidigt. »Du bist ein wunderschönes Mädchen. Du sollst in Samt und Seide gehüllt sein.
Nur das Beste für meine Beste.«
Ich lächelte wieder. Es war lange her, dass mich jemand als wunderschön bezeichnet hatte. Incy gab mir das Gefühl, als sei Schönheit etwas, das ich erreichen konnte. Und nachdem ich schon eine Ewigkeit niemanden mehr mit meinem Aussehen beeindruckt hatte - jedenfalls nicht in River's Edge -, war das Gefühl einfach fantastisch.
Ich schnappte mir ein übrig gebliebenes Croissant und ging unter die Dusche. Das heiße Wasser war eine Offenbarung.
Ich hielt eine Hand aus der Duschkabine und biss immer wieder ab, bis das Croissant weg war. Dann wusch ich die Krümel einfach ab. Sehr praktisch.
Als ich wieder herauskam, hatte Incy meine Sachen wegge;worfen und so musste ich in einem Hotelbademantel meinem Schal um den Hals einkaufen gehen.
***
»Ich denke an Magenta«, sagte die Friseurin und knetete vor lauter Konzentration ihre Lippe. Wieder fuhr sie mir mit der Hand durch die Haare und ließ sie durch ihre Finger gleiten. »Sie sind erstaunlich gesund, wenn man bedenkt, dass Sie sie fast tot gebleicht haben.« Doch dann runzelte sie die Stirn und rieb eine Strähne zwischen Daumen und Zeigefinger. »Oh, mein Gott, die sind ja gar nicht gebleicht. Das ist Ihre echte Haarfarbe. Wow.«
»Das ist deine echte Farbe?« Incy stand aus seinem Sessel auf und kam herüber. »Das ist ein Witz, oder?«
»Nein«, murmelte ich und musste wieder an die Beschwörung denken, mit der River mein wirkliches Ich zum Vor;schein gebracht hatte. Jetzt versteckte ich mich wieder. Na und? So fühlte ich mich wohl, okay? »Ich schätze, du hast sie bisher nicht gesehen.«
»Stimmt«, sagte Incy, der immer noch etwas verdutzt aussah. Er berührte meine Haare, lächelte und setzte sich wieder hin. »Selbst die alten Römer haben sich die Haare gefärbt.« Er grinste frech und ich funkelte ihn an. So alt war ich nun wirklich nicht.
»Auf jeden Fall brauchst du eine totale Veränderung«, ordnete er an. »Ich finde auch, dass Magenta eine tolle Idee ist. Und vielleicht einen Superkurzschnitt? Das würde perfekt zu deinen Augen passen.«
Ich betrachtete mich im Spiegel, meinen täuschend schlichten schwarzen Kaschmirpulli, die butterweiche hellbraune Wildlederhose von Comme des Garcons. Ich wusste nicht einmal, wie viel Geld ich ausgegeben hatte. Die wundervollen schwarzen Stiefeletten von Ann Demeulemeester hatten allein dreimal so viel gekostet, wie ich in der ganzen Zeit, in der ich weg gewesen war, für mich ausgegeben hatte. Ich sah gepflegt und wohlhabend aus; die Klamotten saßen jetzt viel besser an mir, weil ich nicht mehr so eine dürre Vogelscheuche war.
Ich streckte die Hand aus: Incy hatte mir bei Tiffany einen gigantischen Freundschaftsring gekauft, besetzt mit Smaragden, die groß genug waren, um einen kleinen Hund zu ersticken.
Der Ring blitzte in der Beleuchtung des Salons auf und ich drehte meine Hand in verschiedene Richtungen. Incy, der mich dabei erwischte, lächelte mir zu.
In der Zwischenzeit fummelte die Stylistin mit meinen Haaren herum, strich sie von einer Seite zur anderen, teilte sie in der Mitte und wartete vermutlich darauf, dass die Muse des Friseurhandwerks ihr eine Inspiration einhauchte. Ich hatte schon ewig keinen Haarschnitt mehr gehabt. Schon vor River's Edge war mein Struppischnitt herausgewachsen gewesen, weil ich nicht die Energie aufgebracht hatte, mich darum zu kümmern.
»Nein, keinen Stoppelschnitt« , sagte ich. »Zu pflegeaufwendig. Können Sie nur die Spitzen schneiden, ein bisschen Form reinbringen, aber die Haare lang lassen?«
»Natürlich«, sagte die Friseurin, doch Incy runzelte die Stirn.
»Wie wäre es mit etwas Eckigem, Skulpturhaftem?«, schlug er vor. »Das würde dein herzförmiges Gesicht und deine wundervollen Augen besser zur Geltung bringen.«
Ich versuchte, mich zu erinnern, ob Incy schon früher mein Aussehen kontrolliert hatte. Hatten meine Frisuren und meine Kleidung ihn reflektiert und nicht mich? Woher sollte ich das wissen? Es hatte ja kaum ein >mich »Nee«, sagte ich leichthin. »Ich will etwas Einfaches, das ich nur waschen muss und fertig. Ich
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