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Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition)

Titel: Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kutzmutz
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einfach die literarische Produktion anleitet: von der Idee über den ersten Satz bis hin zu Dramaturgie und Sprachpolitur. Überdies ist es ein Lehrmeister, der mit seinen Schreibnöten einer von uns ist. Breiten andere Schreiblehrer ihre Geheimrezepte auf mehr als zweihundert Seiten aus, begnügt sich Doktor Dodo – so heißt unser Schreibcoach – mit zwei Bögen im Comicformat. Ole Könnecke hat ihn für uns entdeckt und macht keinen Hehl daraus, was Doktor Dodo zu leisten vermag. Im Mittelpunkt des lehr- wie bildreichen Trainingsbuchs steht der steinige Weg zu einem »niveauvollen Bestseller«. Selbst wenn es folglich um marktgängige Massenware geht, stellen sich Doktor Dodo Probleme wie jedem Autor, der seine Arbeit ernst nimmt. In seinem Schreibcamp gibt Dodo den geistreichen Vorturner und lässt uns »an der Entstehung eines literarischen Meisterwerks teilhaben, das zudem das Zeug dazu hat, das meistverkaufte Buch aller Zeit zu werden«. Wer aber ist dieser Doktor Dodo?
    Seine Ahnen sind älter als Inspirationsgaul Pegasus, den die Griechen ersannen, um den Dichtern ein Vollblut für beschwingtes Schreiben zu geben. Dieses altehrwürdige und über den Dingen schwebende Musenross verführt Autoren mitunter zu genialisch-abgehobenen Posen. Unser Dodo hingegen steht für Bodenhaftung: Er ist ein flugunfähiger Vogel, bei dem Schwingen und Schwanz verkümmert sind. Seine Vorfahren lebten verborgen in den Wäldern der Insel Mauritius, waren groß wie ein Truthahn und hatten kurze, dicke, gelbe Beine und einen Krummschnabel. Ende des
    16. Jahrhunderts stießen holländische Forscher auf diesen trägen, zutraulichen Vogel. Jagende Siedler und Seefahrer sowie Schweine und andere Haustiere, die nach Mauritius gebracht wurden, machten dem Vogel schnell den Garaus. Rund hundert Jahre nach seiner Entdeckung galt der Dodo als ausgestorben. Heutzutage schmückt er das Wappen von Mauritius und firmiert als Lockvogel der Bourbon-Brauerei auf der Ile de Réunion. Die letzten seiner Art treffen wir in literarischen Nischen wie Lewis Carrolls Alice im Wunderland oder eben bei Könnecke an. Wir haben also in Doktor Dodo einen Lehrmeister mit Tradition vor uns, dem wir glauben dürfen.
    Bescheiden kommt der Titel seines Lehrbuchs daher: Doktor Dodo schreibt ein Buch . Es widmet sich zwei Grundproblemen aller Autorinnen und Autoren: Wie komme ich zu einer Geschichte? Und wie gestalte ich sie literarisch in einer Weise, die Leser interessiert? Wir dürfen Doktor Dodo bei seinem Bestsellerversuch über die Schulter schauen und durch teilnehmende Beobachtung üben, wie man ein Schreibprojekt so angeht, dass es nicht an seiner schieren Größe scheitert. Das Prinzip Dodo ist das der Einfachheit. Und wer dieses Prinzip beherzigt und beherrscht, darf sich an vertracktere Vorhaben wagen. In der Folge geben wir Beispiele aus dem Lehrbuch, das sich mit Voraussetzungen des Schreibens, dem Einstieg, den Figuren und der Handlung befasst.

I. Geniales Sitzfleisch und erster Satz
    Wie wir den schmökernden Doktor Dodo zu Beginn im Sessel antreffen, versinnlicht er eine elementare Situation literarischer Arbeit: Kein Schreiben ohne Lesen – und erst recht keins ohne Sitzen! Wer nicht lange sitzen kann, kann auch nicht schreiben. Sitzfleisch brauchen Autoren genauso nötig wie Tour-de-France-Fahrer. Erleben Radprofis Höhen und Tiefen ihrer Welt durch aufgeputschte Muskelkraft, erfährt der Autor seine Welt durchs tägliche Dasein und durch Bücher.

    Bei einem Lehrbuch von Rang stimmt der Einstieg naturgemäß den Grundton an. Durch ein Zitat, das erhellt, welch Geistes Kind da schreibt. Dodo greift auf den amerikanischen Humoristen Robert Benchley (1889-1945) zurück, der die künstlerische Arbeit wie folgt würdigt: »It really isn’t like any other kind of work, for it must come from a great emotional upheaval in the soul of the writer himself; and if that emotional upheaval is not present, it must come from the work of any other writers which happen to be handy and easily imitated.« Benchley klingt für Dodo abgeschmackt und blasiert: das übliche Gerede vom genialischen Schreibschöpfer und seinem »Aufruhr der Gefühle« oder einem, der sich Ideen von anderen Schriftstellern ausborgt. Solche Weisheit quittiert Dodo mit einem »Bah« und lässt Benchley schwungvoll auf den Bücherstapel hinter sich fliegen.
    Der Autor tritt uns selbstbewusst und – gegen den eigenen Anspruch – wie ein Originalgenie unter die Augen. Er verwirft alles

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