Erste Male
musste was ganz Wichtiges sein. Seit Scotty mit Kelsey zusammen war, hatten wir nichts außer Hallo zueinander gesagt. Aber die Sache mit Marcus hatte mich so beschäftigt, dass es mir egal war.
»Psssst … ich bin gleich unten.«
Ich hatte mich schon für einen nächtlichen Lauf angezogen, war also in nicht mal einer Minute bei ihm auf dem Rasen. Ich strich mir mit dem Finger über die Kehle – sei still! –, damit er nicht losplapperte und meine Eltern weckte.
»Machst du so was öfter?«, fragte Scotty.
»Was?«
»Rausschleichen.«
»Wieso?«
»Kommt mir vor, als ob du auf mich gewartet hättest.«
»Ach so. Nein.« Ich erklärte ihm, dass ich nachts manchmal laufen gehe.
»Das wusste ich gar nicht«, sagte er.
»Woher auch, wenn ich es dir nicht erzählt habe?«
Wir gingen zum Spielplatz und ich steuerte direkt auf die Schaukel zu. Die war immer mein Lieblingsplatz. Seit ich denken kann, spiele ich auf dieser Schaukel ein heimliches Spiel: Ich schaukele immer höher und höher und versuche, mit den Füßen Blätter der Eiche zu streifen. Das ist unmöglich – sie hängen in ungefähr acht Meter Höhe. Aber selbst jetzt, wenn ich nachts hingehe, versuche ich es noch. Allerdings nicht heute mit Scotty. Da saß ich bloß auf der Schaukel und schwang ein bisschen vor und zurück.
»Also, was ist los?«
Scotty seufzte. »Ich habe mit Kelsey Schluss gemacht.«
Ich versuchte, überrascht zu wirken.
»Und, bist du am Boden?«
»Eigentlich nicht.«
»Wieso dann der nächtliche Notruf?«
»Sie ist total sauer auf dich, und das wollte ich dir noch vor der Schule morgen sagen.«
»Wieso ist sie sauer auf mich? Ich habe doch kaum mit dir geredet.«
»Stimmt«, sagte er und malte mit einem Stock im Staub. »Irgendwie habe ich das Reden mit dir vermisst, und das gab Probleme.« Er verwischte die Linien wieder mit dem Schuh. »Ich fand, sie musste die Wahrheit wissen. Dass meine Freundschaft zu dir wichtiger ist als sie.«
Früher hätte ich gedacht: So was Süßes hat mir noch nie jemand gesagt. Aber jetzt klang es bloß noch leinwandsüß. Wie aus einem Film mit Molly Ringwald. Und so gern ich mir diese Filme ansehe, so wenig will ich darin leben.
»Ich weiß, das klingt total schwuchtelig, aber es stimmt«, sagte er.
Scotty ließ nichts unversucht, es mit mir wieder einzurenken. Wie viele sechzehnjährige Typen würden wohl wegen einer Freundschaft auf Sex verzichten? Na gut, die Wahrheit war nicht ganz so asketisch, denn letztendlich hofft Scotty ja, diese Strategie lässt ihn in meinem Bett landen. Trotzdem beeindruckend, auch wenn die Frage eigentlich lauten muss: Wie viele sechzehnjährige Typen würden wohl für vage sexuelle Aussichten auf die sichere Nummer verzichten?
Aber irgendwie war es nicht genug.
»Ich fühle mich richtig schlecht, weil ich dich mit der Hochzeit deiner Schwester sitzengelassen habe und so.«
»Mm-hm.«
»Ich könnte immer noch mit dir hingehen.«
»Mm-hm.«
»Wenn du noch willst.«
Schon komisch. Eigentlich wollte ich überhaupt nie mit ihm hingehen. Bloß alle anderen wollten das. Und jetzt würde ich ihnen auf gar keinen Fall zum zweiten Mal die Befriedigung verschaffen.
»Weißt du was, Scotty? Jetzt ist es zu spät.«
»Ach.«
Es war natürlich überhaupt nicht zu spät. Meine Schwester hätte ihn ohne Problem noch untergebracht. Aber es war eben zu spät für mich.
»Tut mir leid, dass du ganz umsonst hergekommen bist.«
»Hey«, sagte Scotty. »Kein Problem.«
EINUNDZWANZIGSTER
Heute war der letzte Schultag. Endlich Junior werden.
Und wie üblich gab es heute die jährliche Preisverleihung der PHS. Ich glaube, das soll ein Anreiz sein, überhaupt zur Schule zu kommen. Der offensichtliche Denkfehler ist allerdings, dass die Prolls, die Wiggaz, der Ausschuss, der ganze Bodensatz der Pineville High, der eher zum Fernbleiben neigt, bestimmt nicht vom Glanz der sowieso unerreichbaren gravierten Plaketten hergelockt wird. Und diejenigen, die Preise kriegen, würden auch so kommen.
Normalerweise kriege ich die Plaketten im Dutzend. Letztes Jahr wurden zum Beispiel alle Preise für einzelne Fächer gleichmäßig zwischen Len Levy und mir aufgeteilt – jeder vier. Dieses Jahr bekam ich allerdings bloß den Englisch-Preis und den für Französisch Wahlfach – und das war höchst ungerecht, weil ich ein Jahr älter bin als alle anderen Kursteilnehmer. Pepe wurde um seinen verdienten Lohn betrogen.
Eigentlich geht mir das alles am Arsch vorbei, aber
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