Erste Male
schrieb was Witziges über einen Typen, auf den sie steht, was überhaupt nichts mit der ganzen Sache hier zu tun hatte. (Weshalb ich zum ersten Mal froh war, dass sie weit weg ist.)
Statt auf die Hassmails zu antworten, betrachtete ich mein bleiches, haariges, verschrumpeltes Möchtegern-Bein.
Manche Zufälle sind einfach zu auffällig, die können nur Botschaften höherer Mächte sein. Die Gemeinsamkeiten zwischen dem abgenommenen Gips und dem gelüfteten Geheimnis/entlasteten Gewissen lagen auf der Hand: hier eine körperliche Befreiung, dort eine emotionale. Beide mit Schmerzen verbunden, aber hinterher fühle ich mich frei, sauber, bereit, mich wiederaufzurichten, stärker zu werden als vorher. Vielleicht sogar glücklicher.
SIEBENUNDZWANZIGSTER
Heute Morgen stand ich vornübergebeugt an meinem Spind und zog den Klettverschluss an meiner Knöchelschiene fest, als mir jemand auf die Schulter tippte.
»Hi. Jessica. Ähm. Ich.«
Meine erste Reaktion war: Len Levy. Würg. Diese Abscheu entspringt zum Teil der jahrelangen Valentinstagswut und zum Teil unserer harten Konkurrenz um die besten Noten. Aber ich ersetzte die halb automatische Antwort schnell durch ein »Ach, hi Len!«, als mir klar wurde, dass er mein Türöffner bei Marcus sein könnte.
»Ähm. Dein Artikel. Ähm. In der Zeitung.«
Seit ich Len Levy kenne, hat er noch nicht einen vollständigen Satz gesprochen. Auch nicht in den vielen belauschten Unterhaltungen mit Marcus.
»Mm-hm?«
»Der war. Ähm. Stark«, sagte er. »Und. Ähm. Du hast ausgesprochen. Ähm. Was viele denken. Ähm. Aber nicht sagen. Ähm. Und. Ähm. Ich freu mich schon. Ähm. Auf die nächsten Artikel. Ähm.«
Ich kriegte so was wie danke schön raus, bevor er davonschlich.
Ungefähr zwei Minuten später wieder ein zögerliches Tippen. Diesmal stand ein Trio Orchesterfreaks hinter mir, deutlich erkennbar an den Instrumentenkoffern, wahrscheinlich auf dem Weg zur Probe.
»Du bist Jessica Darling, oder?«, fragte ein Mädchen mit Überbiss und einem rot pulsierenden Pickel am Kinn, der so aussah, als könnte er beim Spielen den Takt halten.
»Ja.«
»Dein Artikel in der Zeitung. Meine Freundinnen und ich … fanden ihn cool«, sagte sie schüchtern.
»Danke.«
Sie huschten weg.
Ich hatte nicht erwartet, dass mein Artikel bei der Schülerschaft irgendwelche Wirkung zeigen würde. Aber als sich rumsprach, dass er der Anlass für die Schlägerei gestern war, war das Interesse an The Seagull’s Voice größer als je zuvor.
»Für Gewalt gibt es keine Entschuldigung«, sagte Havisham vor dem Englischunterricht zu mir. »Aber wenn das bisschen Spektakel die Schüler dazu bringt, The Seagull’s Voice zu lesen, gerne. Ich hoffe, dein nächster Leitartikel wird genauso kämpferisch. Power to the People! «
Korrekt, Schwester! Aber mein nächster Leitartikel?! Über den ersten hatte ich gar nicht hinausgedacht.
Während also die Freaks und Außenseiter mir den ganzen Tag über für meine offenen Worte dankten, wurde mir klar, dass ich sogar sehr gut darüber nachdenken musste. »Miss Hyacinth Anastasia Wallace: eine Falschspielerin wie wir alle« hatte tatsächlich positive Wirkung gezeigt, und zwar für diejenigen, die sich an der PHS am meisten unterdrückt fühlten.
Wer hätte gedacht, dass der Leitartikel sogar meinen Glauben an Pepe wiederherstellen würde?
»Bonjour, mademoiselle!«
Seine letzten Worte an mich waren schon so lange her, dass mich diese Begrüßung einigermaßen verblüffte. Sogar in einer Woche, in der ich dauernd von Leuten angesprochen wurde, mit denen ich noch nie ein Wort gewechselt hatte.
»Dein Leitartikel war der Hammer«, sagte er. »Hat mir klargemacht, was für einen Mist ich so angestellt habe, bloß um dazuzugehören.«
Eigenartig, Pepe wieder sprechen zu hören. Vor allem englisch.
»En français, s’il vous plaît!«, säuselte Madame Rogan.
Pepe zögerte und suchte nach den passenden Worten. »Je n’ai pas eu … les œufs … à faire la fin avec ma petite amie …«
Wie bitte?!
»Comment?«, fragte ich. Entweder waren meine Französischkenntnisse den Bach runter oder er redete dummes Zeug.
Er flüsterte: »Ich hatte nicht die Eier, mit meiner Freundin Schluss zu machen, bis ich ihn gelesen habe.«
Ich glaube jedenfalls, dass er das gesagt hat.
»En français!«
Pepe schaute zur Decke, als ob da die richtige Übersetzung stand. Nach ein paar Sekunden zuckte er die Achseln und sagte einfach: »Merci, Jessica.«
Ich
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